Der Hase mit den Bernsteinaugen
Knochenfarben und Elfenbein schimmern. Abends können sie den ganzen Raum erhellen.
Hier werden die Netsuke wieder japanisch.
Sie verlieren ihre Fremdheit. Nun sind sie erstaunlich genaue Nachbildungen der Speisen, die man zu sich nimmt: Muscheln, Tintenfische, Pfirsiche, Khakis, Bambussprossen. Die Kienspäne neben der Küchentür sind ebenso zusammengebunden wie das von Soko geschnitzte Bündel. Die trägen, unbeirrbaren Schildkröten, die am Rand des Tempelteichs übereinanderkrabbeln, sind das Netsuke von Tomokazu. Vielleicht begegnet man auf dem Weg zum Büro in Marunouchi keinen Mönchen und Wanderhändlern und Fischern, ganz zu schweigen von Tigern, aber der Mann beim Nudelstand am Bahnhof schaut ebenso mürrisch drein wie der enttäuschte Rattenfänger.
Die Netsuke haben eine gemeinsame Bildsprache mit den japanischen Schriftrollen und den goldenen Wandschirmen im Zimmer. Sie können mit etwas in Dialog treten, nicht wie bei Charles’ Moreaus und Renoirs oder Emmys silbernen und gläsernen Parfümflakons auf dem Garderobentisch. Sie waren immer Dinge, die man in die Hand nehmen und befühlen musste; nun sind sie Teil einer anderen Welt der berührbaren Dinge. Sie sind nicht nur aus vertrautem Material (in Form von Essstäbchen fasst man jeden Tag Elfenbein und Buchsbaumholz an), auch ihre Formen sind tief verwurzelt. Ein ganzer Netsuke-Typus sind nach den kleinen, runden süßen Tofuküchlein benannt, die man täglich zum Tee isst oder als o-miyagi erhält, die kleinen Geschenke, die man in Japan bei Besuchen mitbringt. Manju sind fest und erstaunlich schwer, geben aber beim Anfassen ein wenig nach. Beim Aufnehmen eines Netsuke spürt der Daumen etwas Ähnliches.
Viele von Iggies japanischen Freunden hatten noch nie Netsuke gesehen, geschweige denn angefasst. Jiro konnte sich gerade noch an seinen Großvater, den Unternehmer, erinnern, der bei Hochzeiten und Begräbnissen seinen schweren grauen Kimono trug. Fünf heraldische Motive am Hals, an den Ärmeln und Ärmelumschlägen, weiße Zehensocken und geta, hölzerne Pantoffeln, der breite Obi-Gürtel mit dem steifen Knoten in der Taille und ein Netsuke - ein Tier? eine Ratte? - an der Schnur. Aber Netsuke waren bereits achtzig Jahre zuvor aus dem täglichen Gebrauch verschwunden, in der frühen Meiji-Zeit, als man Kimonos für Männer abschaffen wollte. Bei Iggies Partys - auf den Tischen stehen Whiskygläser, Teller mit edamame, gerösteten Sojabohnen - wird der Schrank geöffnet. Die Netsuke werden herausgenommen, bewundert, herumgereicht, genossen. Und die Freunde erklären, was sie bedeuten. Es ist 1951, das Jahr des Hasen, und so hält man das aus dem hellsten Elfenbein der ganzen Sammlung geschnitzte Netsuke und bekommt erklärt, dass es leuchtet, weil es ein Mondhase ist, der über die vom Mondlicht bestrahlten Wellen flitzt.
Das letzte Mal, als die Netsuke in solch geselliger Runde herumgereicht wurden, war in Paris, Edmond de Goncourt, Degas und Renoir taten das in Charles Ephrussis Salon, eingerichtet im damals üblichen guten Geschmack, ein Dialog zwischen einem erotisierten Anderen und der neuen Kunst.
Nun, wieder daheim in Japan, sind die Netsuke eine Erinnerung an Gespräche mit den Großeltern über Kalligraphie, über Poesie oder den shamisen. Für Iggies japanische Gäste gehören sie zu einer versunkenen Welt, die durch die Düsternis der Nachkriegszeit noch trüber wirkt. Schaut an, scheinen die Netsuke vorwurfsvoll zu sagen, welchen Reichtum an Zeit es gegeben hat.
Hier gehören sie auch zu einer neuen Version des Japonismus. Iggies Haus hat sein Pendant in den internationalen Design-Zeitschriften der fünfziger Jahre, die gerne den japanischen Stil auf die zeitgenössische Einrichtung aufpfropfen. Man kann das Thema Japan durch einen Buddha, einen Wandschirm, einen derben Tontopf im folkloristischen Stil, wie er jetzt en vogue ist, andeuten. Architectural Digest zeigt reihenweise Wohnhäuser in Amerika, in denen solche Objekte neben Blattgold im Vorzimmer, einer verspiegelten Wand, Rohseidentapeten, Panoramafenstern und abstrakten Bildern zu sehen sind.
Im Tokioter Haus dieses Adoptiv-Amerikaners befindet sich ein tokonama, der Alkoven, der in den traditionellen Häusern einen so wichtigen Platz einnimmt, ein vom Rest des Hauses durch einen rohen Holzbalken abgetrennter Raum. In einem Korb neben einer Bildrolle sind Gräser arrangiert, daneben eine japanische Schale. Zeitgenössische japanische Bilder kränklich-blasser Figuren
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