Der Hase mit den Bernsteinaugen
dies Iggies erstes Haus. Er war zweiundvierzig, hatte in Wien, Frankfurt, Paris, New York und Hollywood gelebt, war mit der Armee durch Frankreich nach Deutschland gezogen, war in Leopoldville gewesen, doch nie hatte er die Tür zu seinem eigenen Haus hinter sich zumachen können - bis zu diesem ersten, befreiten, betörenden Frühling in Japan.
Das Haus war in den 192oern erbaut worden, es besaß ein achteckiges Esszimmer und einen offenen Vorbau, von dem aus man auf den See blickte, wunderbar geeignet für Cocktailpartys. Aus dem Wohnzimmer trat man auf eine große Steinplatte und dann hinunter in den Garten mit den gestutzten Kiefern und Azaleen, einer Terrasse, gepflastert mit nach dem Zufallsprinzip angeordneten Steinen, und einem Moosgarten. Es war die Art Haus, wie sie der junge japanische Diplomat Ichiro Kawasaki beschrieb: »In der Vorkriegszeit konnte sich ein Universitätsprofessor oder Oberst ein solches Haus leisten und dort auch wohnen. Heute sind sie für die Besitzer so unerschwinglich im Unterhalt, dass sie sie entweder verkaufen oder an Ausländer vermieten müssen.«
Ich sehe mir den Stoß kleiner Kodachrome-Fotos mit abgerundeten Ecken an, aufgenommen in Iggies erstem Haus in Tokio. »Auf Flächenwidmungspläne haben japanische Stadtplaner wenig Gedanken verschwendet. Nicht selten findet man schäbige Holzschuppen von Arbeitern direkt neben der palastartigen Residenz eines Millionärs.« Das ist auch hier der Fall, obwohl die Schuppen links und rechts aus Beton statt aus Holz und Pappe wiedererrichtet wurden. Die Nachbarschaft blüht wieder auf: Tempel und Schreine, ein lokaler Markt, eine Fahrradreparaturwerkstätte, ein paar Geschäfte am Ende der Straße - mehr ein Feldweg als eine Straße -, wo man in Reih und Glied ausgelegte dicke weiße Daikon-Rettiche kaufen kann, Kohl und sonst nicht viel.
Wir beginnen mit Iggie in der Eingangstür, die Hand in der Hosentasche, der Clip glänzt auf der grünen Seidenkrawatte. Er ist breit geworden, trägt gern ein Stecktuch in der Jacketttasche. Die jungen Kerle in seinem Büro haben das nachzuahmen begonnen, diese zusammenpassende Stecktuch-Krawatten-Kombi. Heute trägt er feste Schuhe. Er sieht ein wenig nach Landadel aus. Es könnte in den Cotswolds sein, wären da nicht die gestutzten Kiefern an seiner Seite und die grünen Dachziegel. Wir treten in einen langen Korridor und wenden uns nach links, wo der Koch Mr. Haneda in seinem weißen Dress, die Augen wegen des Blitzlichts geschlossen, am neuen Herd lehnt, die Kochmütze keck nach hinten geschoben. Eine Flasche Heinz Ketchup ist das einzig Essbare in Sicht, kodachromerot vor dem blendend sauberen Email.
Zurück im Korridor, treten wir durch einen offenen Torbogen mit einer No-Maske in das Wohnzimmer. Die Decke ist mit Holzlatten verkleidet. Alle Lampen sind an. Objekte stehen auf schlichten dunklen koreanischen und chinesischen Möbeln, daneben bequeme niedrige Sofas, verstreute Tischchen und Lampen, Aschenbecher, Zigarettendosen. Ein hölzerner Buddha aus Kyoto hockt auf einer koreanischen Truhe, eine Hand segnend erhoben.
Die Bambusbar enthält ein eindrucksvolles Sortiment an Spirituosen, nichts davon kann ich identifizieren. Dieses Haus ist für Partys gedacht. Partys mit herumkrabbelnden Kleinkindern, Frauen in Kimonos, Geschenken. Partys mit Männern in dunklen Anzügen, gesprächig vom Whisky, die um runde Tischchen sitzen. Partys zu Neujahr, Kiefernzweigbüschel hängen von der Decke, Partys unter den Kirschbäumen, und einmal, poesiebeflügelt, eine Glühwürmchen-Party.
Hier wird fraternisiert auf Teufel komm raus: japanische, amerikanische und europäische Freunde, Frau Nakamura, die Haushälterin in Dienstkleidung, serviert Sushi und Bier. Hier ist wieder Liberty Hall.
Es ist auch ein Haus mit Stil. Keine vollgestopften Zimmer wie in Iggies Kindheit im Palais: ein bühnenhaftes Interieur mit Blattgold-Wandschirmen und Schriftrollen, Malereien und chinesischer Töpferei, geschaffen als neues Heim für die Netsuke.
Mitten im Haus nämlich, im Zentrum von Iggies Leben, liegen die Netsuke. Iggie hat einen Glasschrank für sie entworfen, die Hinterwand ist mit gemustertem Papier beklebt, ein blassblaues Chrysanthemenmuster. So sind also nicht nur die 264 Netsuke wieder in Japan, sie werden auch in einem Salon zur Schau gestellt. Iggie hat sie auf drei lange Glasborde plaziert. Verdeckte Beleuchtungskörper lassen die Vitrine in der Dämmerung in allen Abstufungen von Cremeweiß,
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