Der Hase mit den Bernsteinaugen
schwatzen und lachen schrill, kauen ständig Kaugummi oder erzürnen hungrige Bürger im Zug oder Bus, indem sie ihren Sündenlohn zur Schau stellen.«
Über diese Mädchen und was sie für Japan bedeuteten wurde viel diskutiert. Man hatte solche Angst vor der amerikanischen Armee, dass man die panpan als eine Art Opfer ansah, das für die Sittsamkeit der meisten japanischen Frauen gebracht wurde. Verbunden damit war der Horror vor ihrem Lippenstift, ihren Kleidern und dem öffentlichen Geknutsche. Das Küssen wurde ein Symbol für die Befreiung von den Konventionen, die die Besatzung mit sich brachte.
Es gab auch Schwulenbars, gei pati, wie sie Yukio Mishima in seinem Roman »Kinjiki« (»Verbotene Farben«) nannte; der Roman erschien in Fortsetzungen Anfang der 1950er Jahre. Gei wurde in lateinischen Buchstaben gedruckt, das bedeutete, dass der Ausdruck bereits allgemein gebräuchlich war. Der Hibiya-Park war ein beliebter Treffpunkt. Ich habe bloß den unzuverlässigen Mishima als Führer: »Er trat in das trübe, feuchtkalte Lampenlicht der Toilette und sah, was die Kameraden ein >Büro< nannten. (Es gibt vier, fünf solch wichtiger Orte in Tokio.) Es war ein Büro, wo die stillschweigende Vorgangsweise auf Augenzwinkern statt auf Dokumenten beruht, auf winzigen Gesten statt auf Gedrucktem, auf verschlüsselter Kommunikation statt auf einem Telefon.«
Es hieß unternehmerisch denken. Diese junge Generation wurde im allgemeinen Sprachgebrauch apure genannt, nach »apres-guerre«. Ein apure ist ein »Collegestudent, der häufig die Tanzdielen besucht, seine Prüfungen mittels eines Stellvertreters besteht und eventuell auf unorthodoxe Weise zu Geld kommt«. Der Schlüssel waren ihre ungewöhnlichen Überlebensstrategien und ihr Bestreben, einen amerikanischen Lebensstandard zu erlangen. Es war ihnen gelungen, die Normen, die für die Arbeit galten, außer Kraft zu setzen. »Seit dem Krieg ist der Schlendrian die Regel geworden«, schrieb ein japanischer Kommentator über diese apure. Sie kamen zu spät zur Arbeit, schwindelten bei Prüfungen, galten aber auch als Strichjungen; aus einem Nichts konnten sie Geld schlagen. Auf den Strich gehen, das bedeutete Hawaiihemden, Nylongürtel oder sogar Schuhe mit Gummisohlen, in einer ironischen Anspielung auf die drei geheiligten Symbole des Kaisers »die drei geheiligten Insignien« genannt. In den Jahren nach der Niederlage erschienen etliche neue, extra für diese jungen Männer gedachte Zeitschriften mit Artikeln wie »Wie man i oooooo Yen auf die Seite legt« oder »Wie man von null an Millionär wird«.
Im Sommer 1948 war in der Stadt der »Tokio Boogie-Woogie« ein Riesenhit. Er plärrte aus Lautsprechern auf den Straßen und aus den Nachtclubs, die Besucher anlocken wollten: »Tokyo boogie-woogie / Rhythm ookie-ookie / Kokoro zookie-zookie / Waku-waku.« Das ist der Beginn der kasutori, der Schundkultur, hieß es in der Presse. Sie wird uns bezwingen. Vulgär und aufdringlich, hedonistisch, keine Grenzen kennend.
Auch im Freien wird gekauft und verkauft. Veteranen in weißen Gewändern betteln auf den Straßen, abgeschraubte Metallarme oder -beine vor sich auf dem Boden, dazu ein Schild mit der Liste der Schlachten, an denen sie teilgenommen haben. Kinder streunen überall herum, Kriegswaisen, die Geschichten zu erzählen haben, von Eltern, die in der Mandschurei an Typhus gestorben sind, sie betteln, stehlen, sind verwildert. Schulkinder kreischen nach chocoretto oder Zigaretten, oder sie rufen die Sätze von Seite eins des Japanisch-Englischen Handbuchs:
Thank you!
Thank you, awfully!
How do you do?
Oder, wie sie es in phonetischer Lautschrift gelernt haben: San kyu! San kyu ofuri! Hau die dou?
Der Lärm der Spielautomatenhallen, das scheppernde Geprassel Tausender kleiner Metallkugeln, die durch die Maschinen sausen. Für den Gegenwert eines Shillings kann man fünfundzwanzig kaufen und, falls man geschickt war, einige Stunden unter den Neonlampen sitzen und sie einfüttern. Die Preise - Zigaretten, Rasierklingen, Seife, Konservendosen - kann man beim Besitzer gegen eine weitere Tasse voller Kugeln eintauschen, noch ein paar Stunden Vergessen.
Straßenszenen: betrunkene Büroangestellte in schäbigen schwarzen Anzügen und schmalen Krawatten über wollenen Westen, die auf dem Bürgersteig vor einer Bar lümmeln. Das Pinkeln auf der Straße, das Ausspucken. Die Bemerkungen über Größe oder Haarfarbe. Die tägliche Litanei der Kinder, die einem
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