Der Hase mit den Bernsteinaugen
Fotografie ist eine Veranda zu sehen, wo man abends die Drinks einnahm. Der Grund ist leicht abschüssig, umrahmt von Bambusgehölz ist ein Stück Meer zu sehen.
Und sie kauften eine Grabstelle auf dem Gelände des Tempels, wo einer ihrer engsten Freunde sein Familiengrab hatte. Iggie war endgültig angekommen.
1972 zogen sie nach Takanawa, in eine Wohnung in einem Neubau in guter Umgebung. »Higashi-Ginza, Shimbashi, Daimon, Mita«, flötet die Stimme in der U-Bahn, und dann »Senkakuji«, und man steigt aus und geht den Hügel hinauf heimwärts auf dieser stillen Straße neben den Mauern des Palastes von Prinz Takamatsu. Tokio kann sehr still sein. Einmal wartete ich auf ihre Heimkehr, ich saß auf dem niedrigen grünen Geländer gegenüber, und in einer Stunde kamen bloß zwei alte Damen vorbei und ein hoffnungsfrohes gelbes Taxi.
Es waren keine großen, aber sehr praktische Wohnungen: Sie dachten an die Zukunft. Getrennte Eingänge, doch angrenzend, mit einer Verbindungstür zwischen den beiden Ankleidezimmern. Iggie ließ in seinem Vorraum eine Wand verspiegeln und die andere mit Goldfolie verkleiden. Auf einem kleinen Schemel konnte man sitzen und die Schuhe ausziehen, auch ein segnender Buddha von einer lang vergessenen Einkaufstour in Kyoto stand da. Einige der Wiener Bilder wanderten auf Jiros Seite, einiges von Jiros japanischem Porzellan fand seinen Platz auf Iggies Regalen. Ein Foto von Emmy stand auf dem kleinen Schrein neben einem Foto von Jiros Mutter. Aus Iggies Ankleidezimmer mit seiner Jackettkollektion blickte man auf den Garten des Prinzen. Vom Wohnzimmer mit der Vitrine aus sah man bis zur Tokiobucht.
Iggie und Jiro fuhren gemeinsam auf Urlaub. Venedig, Florenz, Paris, London, Honolulu. Und 1973 nach Wien. Es war das erste Mal seit 1936, dass Iggie wieder hier war.
Iggie steht mit Jiro vor dem Palais, in dem er geboren wurde. Sie gehen ins Burgtheater, ins Hotel Sacher, in das ehemalige Stammcafe seines Vaters. Nach der Rückkehr fällt Iggie zwei Entscheidungen. Sie haben miteinander zu tun. Die erste: Er adoptiert Jiro. Jiro wird Jiro Ephrussi Sugiyama. Die zweite: Er legt seine amerikanische Staatsbürgerschaft zurück. Ich fragte ihn nach seiner Rückkehr nach Wien und seiner Wiederannahme der österreichischen Staatsbürgerschaft; ich dachte an Elisabeths Weg um den Ring vom Bahnhof aus und wie sie vor dem Haus ihrer Kindheit die geknickten Linden gesehen hatte. »Ich habe Nixon einfach nicht ausgehalten«, sagte er bloß, sah Jiro an und wechselte das Thema.
Das lässt mich darüber nachdenken, was es bedeutet, sich einem Ort zugehörig zu fühlen. Charles starb als Russe in Paris. Viktor hielt das für falsch; er war fünfzig Jahre lang ein Russe in Wien, dann Österreicher, dann Bürger des Deutschen Reichs, dann staatenlos. Elisabeth behielt fünfzig Jahre lang in England die niederländische Staatsbürgerschaft. Und Iggie war Österreicher, dann Amerikaner, dann ein in Japan lebender Österreicher.
Man assimiliert sich, aber einen Ort muss es geben, wo man hingehen kann. Man hält den Pass bereit. Man behält etwas Privates.
Über Politur
Es muss in den 1970cm gewesen sein, als Iggie kleine Nummern auf die Netsuke klebte, eine Liste anfertigte, was sie darstellten, und sie schätzen ließ. Sie waren erstaunlich wertvoll. Der Tiger war der Star.
Das ist endlich der Punkt, an dem die Netsukeschnitzer wieder ihre Namen erhalten und beginnen, Menschen mit Familien zu werden, Kunsthandwerker in einer ganz bestimmten Gegend. Um sie herum lagern sich Geschichten ab:
»Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lebte in Gifu ein Schnitzer namens Tomokazu, der sich beim Schnitzen von Netsuke-Tierfiguren hervortat. Eines Tages verließ er sein Haus, leicht gewandet, als wolle er ins Bad gehen, und man hörte drei, vier Tage nichts von ihm. Seine Familie und seine Nachbarn waren sehr besorgt, was aus ihm geworden war, als er plötzlich wiederkehrte. Er erklärte den Grund für sein Verschwinden und sagte, er habe ein Hirsch-Netsuke schnitzen wollen und sei tief in die Berge hineingegangen, wo er genau beobachtete, wie diese Tiere lebten, und habe die ganze Zeit nichts gegessen. Er soll die Arbeit, die er tun wollte, vollendet haben, die auf seinen Beobachtungen in den Bergen beruhte … Nicht selten verwendete man auf ein Netsuke ein oder sogar zwei Monate Arbeit …«
Ich gehe zu meinem Schrank und sehe darin vier kleine, übereinander kriechende Schildkröten. Ich prüfe die Nummer
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