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Der Hase mit den Bernsteinaugen

Der Hase mit den Bernsteinaugen

Titel: Der Hase mit den Bernsteinaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund de Waal
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flüchtigen Moment festgehalten haben, was man fühlte, als man eines in die Hand nahm. Irgendwo muss eine Spur ihrer Hände zu finden sein.
    Goncourts Bemerkung ist ein guter Anfang. Charles und Louise kauften ihre ersten japanischen Lackarbeiten bei den Gebrüdern Sichel. Das war keine Galerie, wo man den Sammlern in gesonderten Kojen ehrfürchtig objets und Drucke zeigte, wie in der exklusiven Galerie Siegfried Bing, die östliche Kunst anbot, sondern ein überquellender Hort aller möglichen japanischen Waren. Die Fülle war überwältigencl. Nach einer einzigen Einkaufstour 1874 sandte Philippe Sichel fünfundvierzig Kisten mit fünftausend Objekten aus Yokohama nachhause. Das schuf ein überhitztes Klima. Was gab es hier und wo war es zu finden? Würden andere Sammler einem bei diesen Schätzen zuvorkommen?
    Eine solche Unmenge an japanischer Kunst lud zu Tagträumen ein. Goncourt berichtet von einem Tag bei den Sicheis, nachdem eine Lieferung aus Japan eingetroffen war, umgeben von »tout cet art capiteux et hallucinatoire« - all der berauschenden, hypnotisierenden Kunst. Seit 1859 kamen allmählich Drucke und Keramik nach Frankreich; in den frühen 1870er Jahren war daraus eine Flut an Gegenständen geworden. Ein Schriftsteller, der auf die Anfänge dieser Besessenheit von japanischer Kunst zurückblickte, schrieb 1878 in der Gazette: »Man hielt sich auf dem Laufenden, wann neue Ladungen eintreffen würden. Alte Elfenbeinarbeiten, Emaille, Fayence und Porzellan, Bronzen, Lackwaren, Holzskulpturen … bestickte Seide, Spielsachen, trafen im Laden des Händlers ein und gingen sofort weiter in Künstlerateliers oder die Arbeitszimmer der Schriftsteller … Sie kamen in die Hände von … Carolus-Duran, Manet, James Tissot, Fantin-Latour, Degas, Monet, zu den Schriftstellern Edmond und Jules de Goncourt, Philippe Burty, Zola … zu den Reisenden Cernuschi, Duret, Emile Guimet… Die Bewegung war etabliert, die Masse der Amateure folgte.«
    Noch außergewöhnlicher war, was man gelegentlich zu Gesicht bekam: »… junge Männer in unseren großen Faubourgs, auf unseren Boulevards, im Theater, deren Aussehen uns verwundert … Sie tragen Zylinderhüte oder kleine, gerundete aus Filz auf schönem, glänzendem schwarzem Haar, lang und zurückgestrichen, einen ordentlich zugeknöpften Überrock, hellgraue Hosen, schöne Schuhe und eine Krawatte von dunkler Farbe auf dem eleganten Leinen. Wären das Schmuckstück, das die Krawatte hält, nicht zu auffällig, die Hosen nicht am Rist ausgestellt, die Stulpstiefel nicht zu glänzend, der Spazierstock nicht zu dünn - solche Nuancen verraten den Mann, der sich dem Geschmack seines Schneiders unterwirft, statt ihm den seinigen aufzuzwingen -, wir würden sie für Pariser halten. Man begegnet ihnen auf dem Trottoir, man sieht sie an: Ihre Haut ist leicht gebräunt, selten tragen sie einen Bart; einige haben sich einen Schnurrbart zugelegt … der Mund ist groß, dazu geschaffen, sich in Viereckform zu öffnen, wie die Masken der griechischen Komödie; die Backenknochen sind gerundet, die Stirn vorspringend ins Oval des Gesichtes gefügt; die äußeren Winkel der kleinen, zwar verhangenen, doch schwarzen und lebhaften Augen von durchdringendem Blick sind gegen die Schläfen zu nach oben gerichtet. Das sind die Japaner.«
    Es ist eine atemberaubende Beschreibung, was es bedeutet, Fremder in einer anderen Kultur zu sein, beinahe unkenntlich außer durch die penible Kleidung. Die Passanten werfen einem einen zweiten Blick zu, doch nur die vollständige Verkleidung verrät einen.
    Es enthüllt auch, wie besonders diese Begegnung mit Japan war. Obwohl Japaner in den 187oern in Paris äußerst selten zu sehen waren - es gab höchstens Delegationen, Diplomaten und hin und wieder einen Prinzen -, war ihre Kunst doch allgegenwärtig. Jeder musste diese Japonaiseries in die Hände bekommen: die Maler, die Charles nun immer häufiger in den Salons traf, die Schriftsteller, die er von der Gazette her kannte, seine Familie, deren Bekannte, seine Geliebte, alle machten dieses Fieber durch. Fanny Ephrussi berichtet in ihren Briefen von Einkaufstouren zu Mitsui, einem schicken Laden in der Rue Martel, wo es fernöstliche Objekte gab; sie habe dort japanische Tapeten für den neuen Rauchsalon und die Gästezimmer gekauft, die sie und Jules eben an der Place d’Iena einrichteten. Wie konnte Charles, der Kritiker, der gut angezogene amateur d’art und Sammler, da keine japanische Kunst

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