Der Hase mit den Bernsteinaugen
die sich mit jeder anderen in Europa messen konnte: Um sie auszuwählen, müssen sie bei Sichel regelmäßig ein und aus gegangen sein. Was mich als Töpfer besonders freut: Neben den Lackarbeiten besaß Charles auch eine Steingut-Deckeldose aus dem 16. Jahrhundert. Sie stammte aus Bizen, dem japanischen Töpferdorf, wo ich mit siebzehn meine Lehrzeit verbracht hatte, voller Begeisterung, endlich meine ungeduldigen Hände an diese schlichten, wunderbar anzufassenden Teeschalen legen zu können.
In »Les Lacques Japonais au Trocadero«, einem langen, 1878 in der Gazette veröffentlichten Essay, beschreibt Charles die fünf oder sechs Vitrinen mit Lackarbeiten, die in der Ausstellung im Trocadero in Paris zu sehen waren. Es ist seine längste Abhandlung über japanische Kunst. Wie auch in anderen Arbeiten schreibt er abwechselnd akademisch (bei Datierungen ist er firm), deskriptiv und schließlich poetisch über die Objekte, die er vor sich sieht.
Er erwähnt den Ausdruck Japonisme, »den mein Freund Philippe Burty geprägt hat«. Drei Wochen, so lange, bis ich eine frühere Erwähnung finde, bin ich der Ansicht, das sei das erste Mal, dass dieser Terminus im Druck auftaucht, und bin ganz aufgeregt, dass es eine so schöne Verbindung zwischen meinen Netsuke und dem Japonismus gibt, ein Augenblick viszeraler Seligkeit - Hab ich’s nicht gewusst! - in der Zeitschriftenabteilung der Bibliothek.
Charles wird sehr, sehr erregt in seinem Essay. Er hat herausgefunden, dass Marie Antoinette eine Sammlung japanischer Lackarbeiten besaß, und er benutzt dieses Wissen, um eine hübsche Querverbindung zwischen der Rokoko-Zivilisation des 18. Jahrhunderts und jener Japans herzustellen. In seinem Essay scheinen Frauen, Intimität und Lackarbeiten innig verflochten. Er erklärt, japanische Lackarbeiten seien in Europa selten zu sehen gewesen: »Dazu benötigte es zugleich Reichtum und das Glück, eine Favoritin oder Königin zu sein, um in den beneidenswerten Besitz dieser beinahe unerreichbaren Dinge zu gelangen.« Nun aber ist der Augenblick gekommen - Paris in der Dritten Republik -, in dem zwei weit entfernte, einander fremde Welten aufeinandertreffen. Diese Lackarbeiten von legendärer Seltenheit, in der Machart so kompliziert, dass sie kaum herzustellen sind, die Besitztümer japanischer Prinzen oder westlicher Königinnen, stehen jetzt hier, in einem Pariser Laden, und man kann sie kaufen. Für Charles besitzen die Lackarbeiten inhärente Poesie: Sie sind nicht nur wertvoll und selten, sie bergen auch Geschichten vom Begehren. Seine Leidenschaft für Louise ist offenkundig. Dass diese Lackobjekte unerreichbar sind, verschafft ihnen eine Aura. Man spürt, wie er sich im Schreiben an die goldhaarige Louise wendet.
Und dann hebt Charles ein Kästchen hoch: »Nehmen Sie eine dieser Lackschatullen in die Hand - so leicht, so lind anzufühlen; der Künstler hat blühende Apfelbäume darauf dargestellt, heilige Kraniche, die über das stille Wasser fliegen, darüber eine unter einem wolkenverhangenen Himmel wogende Bergkette, Menschen in wehenden Gewändern, in Posen, die uns bizarr scheinen mögen, doch stets anmutig und elegant unter ihren großen Schirmen miteinander plaudernd.«
Er hält das Kästchen und spricht über dessen Exotik. Seine Vollendung verlange eine Geschmeidigkeit der Hand, die »ganz und gar weiblich ist, ein beharrliches Geschick, ein Opfer an Zeit, das die Nationen des Westens nie mit solcher Leichtigkeit aufbringen würden«. Wenn man diese Lackarbeiten - oder Netsuke oder Bronzen - ansieht oder in Händen hält, ist man sich der geleisteten Arbeit unmittelbar bewusst; sie verkörpern die aufgewandte Mühe und sind doch auf wunderbare Weise davon befreit.
Die Bilder auf dem Lackkästchen sind mit seiner wachsenden Zuneigung zur Malerei der Impressionisten verflochten: Die Motive der blühenden Apfelbäume, des Wolkenhimmels, der Frauen in wehenden Gewändern sind direkt aus Pissarro und Monet entnommen. Japanische Gegenstände - Lackarbeiten, Netsuke, Drucke - beschwören das Bild eines Ortes, wo die Empfindungen immer frisch sind, wo dem Alltagsleben Kunst entströmt, alles ein träumerisches, endloses, wunderbares Fließen.
In Charles’ Essay über Lackarbeiten sind Stiche von Objekten aus Louises und seiner Sammlung eingefügt. Hier wird seine Prosa ein wenig üppig, atemlos, während er das Innere von Louises goldenem Lackschränkchen beschreibt, über das sich Windenranken schlängeln. Ihre
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