Der Hase mit den Bernsteinaugen
kaufen?
Im Treibhaus der Pariser Kunstszene war es von Bedeutung, wann man zu sammeln begann. Frühe Sammler, japonistes, waren im Vorteil, sie waren Männer von besonderem Kunstverstand und bildeten einen Geschmack. Wie nicht anders zu erwarten, schaffte Goncourt es, anzudeuten, er und sein Bruder hätten sogar schon vor der Öffnung Japans japanische Drucke zu Gesicht bekommen. Unter jenen, die sich die japanische Kunst so früh aneigneten, herrschte zwar starke Konkurrenz, doch einte sie ihr Urteilsvermögen. Aber, wie George Augustus Sala in »Paris Herself Again« 1878 schrieb, die akademische Atmosphäre dieser frühen Sammelzeit schwand bald. »Japonisme ist für einige sehr kunstbeflissene Amateure wie die Ephrussi und die Camondo eine Art Religion geworden.«
Charles und Louise waren Neo-Japonistes, junge, reiche künstlerische Spätzünder. Denn in Sachen japanischer Kunst gab es einen wunderbaren Mangel an Kennerschaft, man musste sich nicht in das Wissen der Kunsthistoriker verstricken, das einem die unmittelbare Reaktion, die Intuition verwirrte. Hier entfaltete sich eine neue Renaissance, hier gab es die Gelegenheit, die alte, sublime Kunst des Ostens in Händen zu halten. Man konnte viel davon haben und das sofort. Oder man konnte sie gleich kaufen und sich später der Liebe hingeben.
Hält man ein japanisches objet in Händen, enthüllt es sich. Die Berührung verrät, was zu wissen nötig ist: Sie verrät einem etwas über sich selbst. Edmond de Goncourt meinte dazu: »Die Berührung ist das Merkmal, woran der Liebhaber sich erkennt. Wer einen Gegenstand mit gleichgültigen, plumpen Fingern handhabt, mit Fingern, die den Gegenstand nicht zärtlich umschließen, der kennt keine Leidenschaft für die Kunst.«
Für diese frühen Sammler und Japan-Reisenden reichte es, ein japanisches Objekt in die Hand zu nehmen, um zu erkennen, ob es »stimmte« oder nicht. Der amerikanische Künstler John La Farge schloss sogar auf einer 1884 unternommenen Reise mit seinen Freunden einen Pakt, »keine Bücher mitzunehmen, keine zu lesen, so unschuldig einzutreffen wie möglich«. Ein Gefühl für Schönheit reichte; die Berührung war eine Art sensorischer Unschuld.
Japanische Kunst war eine schöne neue Welt: Sie brachte neue Texturen, neue Arten, Dinge zu spüren. Sicher, man konnte Alben mit Holzblockdrucken kaufen, aber dies hier war keine Kunst, die man sich bloß an die Wand hängte. Es war eine Epiphanie neuer Materialien: Bronzen mit einer so ausgeprägten Patina, wie man sie an keiner Renaissance-Skulptur fand; Lacke von ungekannter Intensität und Farbtiefe; Wandschirme mit Blattgold, die einen Raum unterteilten, Licht zurückwarfen. Monet malte Madame Monet in einem japanischen Gewand (»La Japonaise«); Camille Monets Kleid war mit »zentimeterdicken Goldstickereien« bedeckt. Und es gab Objekte, die mit nichts in der westlichen Kunst vergleichbar waren, Objekte, nur als »Spielsachen« zu bezeichnen, kleine Schnitzereien von Tieren und Bettlern, die man in der Hand drehen und wenden konnte; man nannte sie Netsuke. Charles’ Freund Louis Gonse, Chefredakteur der Gazette und Sammler, beschrieb ein bestimmtes Netsuke aus Buchsbaumholz in schönen Worten als »plus gras, plus simple, plus caresse« - sehr üppig, sehr einfach, sehr gut anzufühlen. Eine solche Kadenz der Resonanz ist schwer zu übertreffen.
Es waren alles Gegenstände, die man in der Hand halten konnte, Sachen, die dem Salon oder Boudoir zusätzliche Textur verliehen. Während ich die Bilder der japanischen Gegenstände betrachte, bemerke ich, wie die Pariser ein Material aufs andere schichten: Eine Elfenbeinschnitzerei ist in Seide gehüllt, hinter einem Lacktischchen hängt ein Seidentuch, auf einem Lacktischchen steht Porzellan, Fächer spreizen sich auf dem Boden.
Leidenschaftliche Berührung, mit den Händen erforschen, Dinge, die liebevoll eingehüllt werden, plus caresse. Japonismus und Berührung, eine verführerische Kombination für Charles und Louise, wie für viele andere.
Vor den Netsuke kommt eine Sammlung von dreiunddreißig schwarz-goldenen Lackkästchen. Sie sollte mit Charles’ weiteren Kollektionen in seinen Räumen im Hotel Ephrussi untergebracht werden, neben den Renaissance-Wandteppichen aus Burgund und seiner blassen Donatello-Marmorskulptur. Charles und Louise hatten die Sammlung aus Sicheis chaotischem Schatzhaus zusammengestellt. Es war eine herausragende Kollektion von Lackarbeiten aus dem 17. Jahrhundert,
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