Der Hase mit den Bernsteinaugen
Sammlungen seien geprägt »von der Laune eines vermögenden Liebhabers, der in der Lage ist, alle seine Begehrlichkeiten zu befriedigen«. Während er ihrer beider Sammlungen dieser eigentümlichen, prächtigen Objekte bespricht, bringt er insgeheim sich und Louise in Verbindung. Beide sind sie schwelgerisch und kapriziös, von jähen Begierden getrieben. Was sie sammeln, sind Objekte, die man mit der Hand entdecken kann, »so leicht, so lind anzufühlen«.
Es ist ein diskret-sinnlicher Akt der Enthüllung, ihre Sammelstücke öffentlich gemeinsam zu zeigen. Und die Zusammenstellung der Lackarbeiten berichtet auch von ihren Verabredungen: Die Sammlung protokolliert ihre Liebesgeschichte, ihre eigene geheime Geschichte der Berührung.
1884 ist in Le Gaulois die Besprechung einer Ausstellung von Charles’ Lackobjekten zu lesen. Stunden könne man vor diesen Vitrinen verbringen, schreibt der Kritiker. Ich bin ganz seiner Meinung. In welchen Museen Charles’ und Louises Lackarbeiten verschwunden sind, kann ich nicht herausfinden, doch ich kehre für einen Tag nach Paris zurück und besuche das Musee Guimet in der Avenue d’Iena, wo heute Marie Antoinettes Sammlung aufbewahrt wird, und stehe vor Vitrinen, in denen sich die zart schimmernden Gegenstände in labyrinthischen Spiegelungen verlieren.
Charles bringt diese kompakten schwarz-goldenen objets in seinen Salon in der Rue de Monceau, in dem eben erst ein goldgelber Savonnerie-Teppich verlegt wurde, ein feiner Seiden-Webteppich, ursprünglich im 17. Jahrhundert für eine Galerie des Louvre angefertigt. Das Bildprogramm zeigt eine Allegorie der Luft: Die vier Winde blasen mit geblähten Wangen in ihre Trompeten, alles verwoben mit Schmetterlingen und wehenden Bändern. Der Teppich wurde beschnitten, um in den Raum zu passen. Ich stelle mir vor, wie ich über diesen Boden gehe. Der ganze Raum ist golden.
Eine Schachtel Süßigkeiten für Kinder
Wollte man sich ein wenig Japan zulegen, fuhr man am besten dorthin. Um diese ultimative Nasenlänge voraus waren Charles’ Nachbar Henri Cernuschi oder auch der Industrielle Emile Guimet, der die Ausstellung im Trocadero organisiert hatte.
Konnte man da nicht mithalten, musste man Pariser Galerien aufsuchen, um japanische bibelots zu erwerben. Diese Läden galten als Treffpunkte, beliebte Rendezvous-Orte für Liebende aus der besseren Gesellschaft – rendezvous des couples adulteres, Ehebrecher wie Charles und Louise. Früher hatte man solche Paare in der Jonque chinoise angetroffen, einem Geschäft in der Rue de Rivoli, oder der dazugehörigen Porte chinoise in der Rue Vivienne, wo die Galeristin Madame Desoye - sie hatte den allerersten Sammlern japanische Kunst verkauft - »juwelenbehängt thronte … wie ein fettes japanisches Idol«. Nun hatte Sichel diese Rolle übernommen.
Sichel war ein großartiger Kaufmann, aber kein wissbegieriger Anthropologe. In einer 1883 veröffentlichten Broschüre, »Notes d’un bibeloteur au Japon«, schrieb er, das Land sei ihm vollkommen neu gewesen. Offen gesagt, sei er überhaupt nicht interessiert am Alltagsleben gewesen und habe bloß auf dem Basar Lackarbeiten kaufen wollen.
Und sonst tat er auch nichts. Bald nach seiner Ankunft in Japan 1874 entdeckte Sichel unter dicken Staubschichten in einem Basar in Nagasaki etliche Lack-Schreibschränkchen. Er »zahlte einen Dollar für jedes Exemplar, und heute werden viele dieser Gegenstände auf über tausend Francs geschätzt«. Er erwähnt nicht, dass er die Kästchen seinen Pariser Kunden, wie Charles oder Louise oder Gonse, um bedeutend mehr als tausend Francs verkaufte.
Sichel fährt fort: »Damals war Japan ein Schatzhaus mit Kunstobjekten, die man zu Schleuderpreisen bekommen konnte. In den Straßen der Städte reihte sich Laden an Laden mit Kuriositäten, Textilien und verpfändeten Gegenständen. Im Morgengrauen drängten sich die Kaufleute vor meiner Türe: Verkäufer von fukusa [Schriftrollen] oder Bronzehändler, die ihre Waren in Karren transportierten. Sogar Vorübergehende verkauften gerne die netsuke von ihren obi [Kimonogürteln]. Das Trommelfeuer an Angeboten war so unaufhörlich, dass man beinahe überwältigt war von Überdruss und keine Lust zu kaufen mehr verspürte. Trotzdem waren diese Händler exotischer Gegenstände liebenswürdige Kaufleute. Sie dienten als Stadtführer, verhandelten an unserer statt, und das für eine Schachtel Süßigkeiten, wie man sie Kindern schenkt; beschlossen wurden die
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