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Der Hase mit den Bernsteinaugen

Der Hase mit den Bernsteinaugen

Titel: Der Hase mit den Bernsteinaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund de Waal
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Erbe: Es war sein Vermächtnis, und er hatte es verloren. Jeder Teil seines Lebens war stillgelegt - sein Leben in Odessa, St. Petersburg, Paris und London war zu Ende und nur Wien war geblieben, das Wasserkopf-Palais an der Ringstraße.
    Emmy, die Kinder und der kleine Rudolf nagten nicht unbedingt am Hungertuch. Man musste nichts verkaufen, um sich Essen oder Heizmaterial leisten zu können. Aber was sie besaßen, das war nun alles in dem riesigen Haus. Die Netsuke lagen immer noch in ihrer Lackvitrine im Ankleidezimmer, wurden immer noch von Anna abgestaubt, wenn sie ins Zimmer kam, um die Blumen auf Emmys Ankleidetisch zu arrangieren. An den Wänden hingen noch die Gobelins, die holländischen Alten Meister. Die französischen Möbel wurden poliert, die Uhren aufgezogen, die Kerzendochte geschneuzt. Das Sevres stand noch im Porzellanschrank neben dem Silberzimmer gestapelt, Service um Service auf leinenbedeckten Regalen. Das goldene Speiseservice mit dem doppelten E und dem stolzen kleinen Boot mit den geblähten Segeln war noch im Safe. Im Hof stand das Auto. Aber das Leben der Dinge im Palais war weniger mobil. Die Welt hatte einen Umsturz erlebt, und das führte zu einer Art Schwere in den Objekten, die das Leben prägten. Man musste die Sachen nun bewahren, sogar hegen, während sie vorher nur ein Hintergrund gewesen waren, ein vergoldeter, lackierter Schemen hinter einem regen Gesellschaftsleben. Das Ungezählte, Ungemessene wurde endlich sehr genau abgezählt.
    Alles verlor an Substanz; die Dinge waren ehedem so viel besser, so viel vollständiger gewesen. Vielleicht zeigten sich damals die ersten Anzeichen von Nostalgie. Allmählich denke ich, Dinge zu besitzen und dann zu verlieren sei kein ganz exakter Gegensatz. Man behält eine silberne Schnupftabaksdose, ein Andenken daran, dass man vor einer Generation einmal als Sekundant in einem Duell zur Verfügung stand. Man behält das Armband, das einem ein Liebhaber schenkte. Viktor und Emmy behielten alles - all die Besitztümer, die Schubladen voller Sachen, die Wände voller Bilder -, doch das Gefühl einer Zukunft, in der vieles möglich war, hatten sie verloren. Das war ihre Beeinträchtigung.
    Wien ist klebrig vor Nostalgie. Sie ist nun durch die schwere Eichentür ihres Hauses eingesickert.
     
    Du musst dein Leben ändern
     
    Elisabeths erstes Studiensemester verlief chaotisch. Die finanzielle Lage der Wiener Universität war so kritisch geworden, dass man an Österreich im Allgemeinen und die Stadt im Besonderen appellierte, zu helfen. Falls nicht sofort Hilfe komme, werde die Universität unweigerlich auf das Niveau einer kleinen Hochschule absinken, hieß es. Die Professoren arbeiteten für Hungerlöhne, die Bibliothek sei unbenutzbar. Das Jahreseinkommen eines Professors, kommentierte ein Gastprofessor, reiche nicht, um einen Anzug und Unterwäsche für sich selbst und Kleider für Frau und Kind zu kaufen. Im Januar 1919 wurden Vorlesungen abgesagt, weil nicht genug Heizmaterial für die Vorlesungssäle zur Verfügung stand. Das Klima unter den Studenten wiederum wurde zunehmend hitziger. Trotzdem, auch wenn es pervers klingen mag: Es war eine phantastische Zeit, um zu studieren. In der österreichischen - oder Wiener - Schule der Nationalökonomie, in Theoretischer Physik und Philosophie, Jus, Geschichte und Kunstgeschichte stand außerordentliche wissenschaftliche Qualität neben erbitterter Rivalität.
    Elisabeth hatte sich entschlossen, Philosophie, Rechtswissenschaften und Wirtschaft zu studieren. In gewisser Hinsicht war das eine sehr jüdische Wahl: In allen drei Fächern waren Juden stark vertreten. Ein Drittel des Lehrpersonals an der Juridischen Fakultät waren Juden. Ein Anwalt, ein Advokat in Wien, das war ein Intellektueller. Und das war sie, eine unscheinbare, grimmige, zielbewusste, achtzehnjährige Intellektuelle in weißer Crepe-de-Chine-Bluse mit schwarzer Schleife. Es war eine Möglichkeit, einen Trennungsstrich zwischen sich und der emotionalen Sprunghaftigkeit ihrer Mutter zu ziehen. Und zum langsam wieder erwachenden häuslichen Leben im Palais, zum Kinderzimmer, dem kleinen Schreihals, ihrem Bruder, dem ganzen Getue.
    Elisabeth hatte sich für ein Studium unter dem gefürchteten Ökonomen Ludwig von Mises entschieden, an der Universität »der Liberale« genannt. Der junge Wirtschaftswissenschaftler war dabei, sich einen Ruf zu erwerben; er hatte sich vorgenommen zu beweisen, dass ein sozialistischer Staat nicht

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