Der Hase mit den Bernsteinaugen
Jahren.
Zwölf sehr lange Briefe Rilkes, sechzig Seiten, untermischt mit handschriftlichen Abschriften seiner neuesten Gedichte und Übersetzungen, viele Bände seiner Verse mit herzlichen Widmungen.
Steht man in einer Bibliothek vor Rilkes Gesammelten Werken, meterweise Bände, sind die meisten davon Briefe, und davon wieder die meisten an »alldisappointed ladies«, um John Berrymans eindringliche Wendung zu gebrauchen. Elisabeth war eine junge, poetisch angehauchte Baronesse und deswegen unter seinen vielen Briefpartnerinnen nichts Ungewöhnliches. Aber Rilke war ein großartiger Briefschreiber, und besonders diese Briefe sind wunderbar, mahnend, lyrisch, witzig und teilnahmsvoll, ein Zeugnis für die von ihm so bezeichnete »Schreibfreundschaft«. Sie wurden nie ins Englische übersetzt und sind erst vor kurzem von einer Rilke-Spezialistin in England transkribiert worden. Ich schiebe meine Töpfereien auf die Seite und breite die Fotokopien der Briefe auf dem Tisch aus. Zwei glückliche Wochen verwende ich darauf, mit einer Germanistikstudentin mögliche Übersetzungen der geschmeidigen, rhythmischen Sätze zu erstellen.
Während er das Werk seines Freundes, des französischen Dichters Paul Valery, übersetzt, schreibt Rilke über dessen »großes Schweigen«, die Jahre, in denen Valery überhaupt nichts dichtete. Rilke legt die Übersetzung bei, die er eben fertiggestellt hat. Er schreibt über Paris und wie sehr ihn der Tod Prousts berührt habe, wie er sich an seine Jahre in Paris erinnerte, als er Rodins Sekretär war, vom Wunsch, zurückzukehren und noch einmal zu studieren. Ob Elisabeth Proust gelesen habe? Sie solle es tun.
Er ist sehr aufmerksam und geht auf Elisabeths Situation in Wien ein, den Kontrast zwischen ihren Studien an der Universität und ihrer Dichtung: »Wie dem auch sei, liebe Freundin, so wie die Dinge heute stehen, macht es mich für Ihre künstlerischen Leistungen, auf die ich so reinen Werth lege, nicht besorgt …Wenn ich auch gleich nicht begreife, welchen Weltweg Sie sich durch den juridischen Doctor-Grad später zu erschließen gedenken, so ist mir doch eben dieses völlig Kontrastierende Ihrer beider Bethätigungen recht; denn je andersartiger das Intellektuelle, Absichtliche, Willentliche seinem Wesen und seiner Übung nach ist, desto eher schützt es das Inspirative, unvorsehlich Aufkommende, das aus den Tiefen Begeisterte.«
Rilke liest ihre jüngsten Gedichte, »Abend im Januar«, »Römische Nacht« und »König Oedipus«: »schön alle drei, doch neige ich dazu, das Oedipus-Gedicht … über die gefühlhaften Verse zu stellen«. In dem Gedicht schreibt sie, wie der König seine Stadt verlässt, um ins Exil zu gehen, die Hände über die Augen gelegt, in einen Umhang gehüllt; »Die andern kehrten heim in den Palast / und drinnen löschten alle Lichter aus.« Sie hat genug Zeit mit ihrem Vater und der »Aeneis« verbracht, dass der Begriff Exil starke Emotionen in ihr wachruft.
Wenn Elisabeth nach dem Ende ihres Studiums noch Zeit habe, könne sie Literatur studieren, doch Rilkes Ratschlag lautet, »einfach ins Blau der Hyazinthen zu sehen, ja, ich eile mich, liebe junge Freundin, dies vor allem Ihnen zu empfehlen. Und den Frühling!« Er erteilt ihr detaillierte Ratschläge zu ihren Gedichten und zu Übersetzungen; schließlich: »nicht der ermutigende Gärtner, nicht der pflegende, thut ihnen [den Künsten] noth, sondern der mit Schere und Spaten: der rügende!« Er berichtet, wie er sich fühlt, wenn er ein großes Werk vollendet hat. Man spüre, so schreibt er, eine gefährliche Beschwingtheit, als könne man entschweben.
In diesen Briefen wird er lyrisch: »Ich glaube, es kommt in Wien, wenn nicht der zerrige Wind dazwischenfährt, frühzeitig dazu, daß man den Frühling gewahrt, Städte haben da oft so heimliche Vorgefühle, eine Blässe des Lichts, eine unvermuthete Zartheit der Schatten, ein Glänzen in den Fenstern - ein wenig Verlegenheit dazu, Stadt zu sein … dann, soweit ichs selber erfahren konnte, nur Paris und (in naiver Art) Moskau nehmen des Frühlings ganze Natur unmittelbar auf und herein, als ob sie Landschaft wären …«
Und er schließt: »Leben Sie wohl für dieses Mal: die Wärme und Freundschaft Ihrer Mittheilung hat mir zu Herzen wohl gethan. Möge es Ihnen gut ergehen! Ihr RM Rilke.«
Man stelle sich vor, was es bedeutete, einen solchen Brief zu erhalten. Stelle sich vor, seine ausladende, leicht nach rechts geneigte Handschrift auf den
Weitere Kostenlose Bücher