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Der Hase mit den Bernsteinaugen

Der Hase mit den Bernsteinaugen

Titel: Der Hase mit den Bernsteinaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund de Waal
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    Für Dorothy Couteaur Inc. - die spöttisch-affektierte Verballhornung von »Couture« wie ein Name aus Nabokov - entwarf Iggie einen »schwingenden Mantel«, »leger über einen diagonal gerafften Creperock in Beige geworfen, beige ist auch der Fond des Seidencrepemantels mit braunem Schwalbenmuster«. Ziemlich braun das alles. Iggie entwarf meist »stilvolle Kleider für die elegante Amerikanerin«, obwohl ich auch einen Hinweis auf »schicke Accessoires, zum ersten Mal in Kalifornien zu sehen« finde. »Gürtel, Taschen, Keramikschmuck, Puderdosen«; das lässt vermuten, dass er entweder Geld brauchte oder clever war. In Women’s Wear Daily vom 11. März 1937 war die Rede von einem »bemerkenswerten Abendensemble, das mit einer interessanten Stoffallianz punktet; das griechisch inspirierte Kleid aus perlmuttfarbenem Seidenjersey, der Mantel aus leuchtendrotem, biesenverziertem Chiffon. Der Schal kann als Gürtel am Mantel getragen werden, eine Redingote-Anmutung.«
    »Eine interessante Stoffallianz« ist eine wunderbare Wendung. Ich sehe mir die Illustration lange an, wegen der »Redingote-Anmutung«.
    Erst als ich seinen Entwurf für ein Kreuzfahrt-Outfit finde, das auf den Signalflaggen der US-Marine beruhte, merke ich, welchen Spaß Iggie gehabt haben muss. Es zeigt Mädchen in Shorts und Röcken, die von phantastisch aussehenden braungebrannten Matrosen die Takelage hinaufgejagt werden, während uns der Code informiert, dass die Mädchen Signale aussenden, die etwa so lauten: »Möchte mit Ihnen Verbindung aufnehmen«, »Gefahr gebannt«, »Feuer an Bord« oder »Bin manövrierunfähig«.
    In New York wimmelte es von verarmten Russen, Österreichern und Deutschen, die aus Europa geflüchtet waren; Iggie war bloß einer von vielen. Seine knappe Apanage aus Wien war schließlich ganz versiegt, und was er mit Entwürfen verdiente, war kümmerlich, aber er war glücklich. Er hatte seine erste große Liebe gefunden: Robin Curtis, einen Antiquitätenhändler, etwas jünger als er, schlank und blond. Auf einem Bild, aufgenommen in der Wohnung in der Upper East Side, die sie mit Robins Schwester teilten, tragen beide Nadelstreifanzüge, Iggie hockt auf einer Stuhllehne. Auf dem Kaminsims hinter ihnen stehen Fotos ihrer beider Familien. Auf anderen Bildern albern sie in Badehosen an irgendeinem Strand herum, in Mexiko, in Los Angeles - ein Paar.
    Iggie war wirklich entkommen.
    Für Elisabeth kam eine Rückkehr nach Wien keinesfalls in Frage. Doch als ihre finanzielle Lage unerträglich wurde - Kunden hatten Henk im Stich gelassen, Versprechungen waren nicht erfüllt worden, und so fort -, fuhr sie mit den Buben in ein Bauernhaus in Oberbozen, einem hübschen Dorf in Südtirol. An Festtagen spielte laut und falsch eine Musikkapelle auf, die Wiesen standen voller Enzian. Es war schön und die Luft wunderbar für die Haut der Kinder, vor allem aber war es sehr, sehr billig; hier brauchte man kein Geld für Pariser Lebensstil auszugeben. Die Kinder gingen für kurze Zeit in die Dorfschule, bevor sie sich entschloss, sie selbst zu unterrichten. Henk blieb in Paris und London und versuchte die Verluste seiner Handelsgesellschaft wieder einzutreiben. »Wenn er kam«, erinnerte sich mein Vater, »hieß es, wir sollten still sein, er sei sehr, sehr müde.«
    Manchmal fuhr Elisabeth mit den Kindern nach Wien, um die Großeltern und deren Onkel Rudolf zu besuchen, der nun im Teenageralter war. Der Chauffeur kutschierte Viktor und die Enkel im Fond des langen schwarzen Wagens durch die Gegend.
    Emmy ging es nicht gut, sie litt an einer Herzkrankheit und nahm nun Pillen. Etwas überrascht vom herannahenden Alter, sieht sie auf den wenigen Bildern aus jener Zeit viel älter aus, immer noch sehr schick in schwarzem Kleid mit weißem Kragen, einen Hut schräg auf die grauen Locken gepinnt, eine Hand auf der Schulter meines Vaters, die andere auf der meines Onkels. Anna scheint sich gut um sie zu kümmern. Und immer noch verliebt sie sich.
    Sie meint zwar, sie fühle sich noch gar nicht großmütterlich, schickt aber trotzdem meinem Vater bunte Ansichtskarten zu Geschichten von Hans Christian Andersen, »Der Schweinehirt«, »Die Prinzessin auf der Erbse«. Dutzende Karten, jede mit einer kurzen Botschaft, pünktlich eine pro Woche, jede unterschrieben »mit tausend Küssen von deiner Großmutter«. Emmy erzählt nach wie vor gerne Geschichten.
    Rudolf, der von einem Jahr zum anderen ohne seine Geschwister aufwächst,

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