Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hase mit den Bernsteinaugen

Der Hase mit den Bernsteinaugen

Titel: Der Hase mit den Bernsteinaugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund de Waal
Vom Netzwerk:
rauchte russische Zigaretten. Er war in Amsterdam an der Prinsengracht aufgewachsen, als einziger Sohn einer Kaufmannsfamilie, die im Kaffee- und Kakaoimportgeschäft tätig war, weitgereist, spielte Geige, war charmant und sehr witzig. Und er schrieb ebenfalls Gedichte. Ich bin nicht sicher, ob meine Großmutter, die mit siebenundzwanzig ihre Haare in einem strengen Nackenknoten und runde, schwarzgeränderte Brillen trug, passend zu einer Baronesse Doktor Ephrussi, schon einmal von einem solchen Mann umworben worden war. Sie betete ihn an.
    Im Archiv der Gesellschaft Adler in Wien finde ich ihre Hochzeitsanzeige. Sie ist recht elegant gestaltet und gibt die Eheschließung von Elisabeth von Ephrussi und Hendrik de Waal bekannt; das heißt, dass sie bereits geheiratet haben. Viktor und Emmys Namen stehen in einer Ecke, die Eltern de Waal in der anderen. Meine Großeltern - der eine niederländisch-reformiert, die andere Jüdin - heirateten in der anglikanischen Kirche in Paris.
    Elisabeth und Henk kauften eine Wohnung in Paris, in der Rue Spontini im 16. Arrondissement, und richteten sie im aktuellsten Artdeco-Stil ein, mit Fauteuils und Ruhlmann-Teppichen und aufregend modernen Metalllampen und unwahrscheinlich zarten Glaswaren der Wiener Werkstätte. Sie hingen große Reproduktionen von Van-Gogh-Gemälden auf und beherbergten für kurze Zeit im Wohnzimmer eine Schiele-Landschaft, die sie in Wien in Fannys Galerie gekauft hatten. Ich besitze ein paar Fotos dieser Wohnung; man kann das Vergnügen spüren, mit dem das Paar sie gestaltete, die Freude, neue Sachen zu kaufen statt etwas zu erben. Nichts Vergoldetes, keine »Junge Frau«, keine holländischen Truhen. Und kein einziges Familienporträt.
    Solange alles gutging, lebten sie in dieser Wohnung mit Henks Sohn Robert und ihren beiden bald nach der Hochzeit geborenen kleinen Buben: meinem Vater Victor - wie sein Großvater Viktor mit seinem russischen Vatersnamen Tascha gerufen - und meinem Onkel Constant Hendrik, die jeden Tag im Bois de Boulogne spielten. Solange alles gutging, hatte die Familie eine Gouvernante und eine Köchin und ein Mädchen, sogar einen Chauffeur, und Elisabeth schrieb Gedichte und Artikel für Le Figaro und feilte an ihrem Holländisch.
    Bei Regenwetter nahm sie die Buben manchmal in die Galerie Jeu de Paume an den Tuilerien-Gärten mit. Hier in den weitläufigen hellen Räumen sahen sie sich die Manets und Degas und Monets aus der coll. C. Ephrussi an, die Fanny und ihr Ehemann Theodore Reinach, der kluge Gelehrte, der in die Familie eingeheiratet hatte, dem Museum zum Gedenken an Charles gestiftet hatten. Noch lebten Verwandte in Paris, aber jene aus Charles’ Generation waren nicht mehr da und hatten eine Spur an Wohltaten für ihre Wahlheimat hinterlassen. Die Reinachs hatten die Villa Kerylos, die märchenhafte Neuschöpfung eines griechischen Tempels, dem französischen Staat geschenkt, Großtante Beatrice Ephrussi-Rothschild hatte die rosafarbene Villa in Cap Ferrat der Academie Franchise hinterlassen. Die Camondos hatten ihre Sammlungen gestiftet, die Cahen d’Anvers ihr Schloss außerhalb von Paris. Siebzig Jahre war es her, seit diese ersten jüdischen Familien ihre Häuser in der goldenen Rue de Monceau errichtet hatten, und nun hatten sie dem großzügigen Land etwas zurückgegeben.
    Was die Religion anbelangt, führten meine Großeltern eine interessante Ehe. Henk war in einer strenggläubigen Familie aufgewachsen - in ihren schwarzen Anzügen und Kleidern wirkten sie wie Unglücksraben -, dann aber Mennonit geworden. Elisabeth, die sich ihres Judentums gewiss war, las die christlichen Mystiker und sprach von Übertritt. Keine Zweckkonversion wegen der Ehe oder um sich den Nachbarn anzupassen, keine Konversion zum Katholizismus - ich glaube nicht, dass ein gegenüber der Wiener Votivkirche aufgewachsenes jüdisches Mädchen das getan hätte -, aber zur Church of England. Sie gingen in die anglikanische Kirche in Paris.
    Als das Geschäft mit der Anglo-Batavian Trading Company nicht mehr gut lief, verlor Henk viel von seinem eigenen Geld und dem anderer Leute. Unter anderem ging ein Vermögen drauf, das Piz gehörte, der wilden Cousine und Freundin aus Kindertagen, die eine avantgardistische expressionistische Malerin geworden war und in Frankfurt ein Boheme-Leben führte. So viel Geld zu verlieren war ein Albtraum;
    das Mädchen und der Chauffeur mussten gehen, die Möbel wurden in Paris eingelagert, und es gab Diskussionen

Weitere Kostenlose Bücher