Der Hauch Des Bösen: Roman
Grundstücks bog. Es gab in ihrem Leben jede Menge guter Zeiten, seit sie Roarke begegnet war. Unzählige gute Zeiten. Und wenn das Schlechteste, was ihr durch ihn begegnete, eine dürre, säuerliche Vogelscheuche war, tja, dann käme sie auf jeden Fall mit ihr zurecht.
Aber spätestens in einer Stunde, dachte sie, während sie die Treppe hinauf zur Haustür joggte, führe sie zurück aufs Revier, und Roarke müsste sich alleine um den Patienten kümmern.
Im Inneren des Hauses war es nicht nur herrlich kühl, sondern vor allem unnatürlich still. Ihr erster Gedanke war, dass es irgendwelche Komplikationen oder irgendeine Verzögerung im Krankenhaus gegeben hatte. Sie trat vor den kleinen Bildschirm im Foyer.
»Wo ist Roarke?«
WILLKOMMEN DAHEIM, GELIEBTE EVE...
Sie rollte mit den Augen. Es war typisch für Roarkes seltsamen Humor, dass er sie so zärtlich von einem Computer ansprechen ließ.
ROARKE IST IN SUMMERSETS WOHNUNG. WÜRDEN SIE GERNE MIT IHM SPRECHEN?
»Nein. Verdammt.« Hieß das etwa, dass sie sich ebenfalls dorthin begeben musste? Direkt in die Schlangengrube? Sie hatte noch nie einen Fuß über die Schwelle von Summersets Privaträumen gesetzt. Sie stopfte die Hände in die Hosentaschen und stapfte verdrossen
auf und ab. Sie wollte nicht dorthin. Vielleicht lag er im Bett? Würde sie jemals das Grauen dieses Anblickes vergessen?
Nein, vermutlich würde sie den Schock ihres Lebens davon kriegen.
Wenn sie allerdings nicht dorthin ginge, bliebe ihr nichts anderes übrig, als sich heimlich wieder aus dem Haus zu schleichen. Und dann käme sie sich für den Rest des Tages wie eine Idiotin vor.
Käme sie sich lieber blöd vor oder ertrüge sie den Albtraum, überlegte sie und atmete tief seufzend aus. Okay - sie beträte die Wohnung, das Schlafzimmer aber ganz sicher nicht. Aus Rücksicht auf sich selbst und den Patienten würde sie lediglich ins Wohnzimmer gehen, Roarke fragen, ob er irgendetwas brauchte - obwohl sie keine Ahnung hatte, was sie ihm besorgen könnte, das es nicht schon unzählige Male in ihrem Haushalt gab -, und dann Fersengeld geben.
Sie hätte ihre Pflicht erfüllt und könnte sich um ihr eigenes Leben kümmern.
Sie war nicht oft in diesem Teil des Hauses. Weshalb sollte sie in die Küche gehen, wenn es AutoChefs in praktisch allen Räumen gab? Summersets Privatwohnung lag direkt neben der Küche, und ein eigener Fahrstuhl und eine eigene Treppe verbanden seine Zimmer mit dem übrigen Haus. Sie wusste, dass er manchmal zusätzlich andere Räume nutzte, um Musik zu hören, fernzusehen oder, wie sie glaubte, irgendwelche geheimen Rituale zu vollziehen.
Die Tür zu seiner Wohnung stand sperrangelweit offen, und angesichts des fröhlichen Gelächters, das sie vernahm, hellte sich ihre Stimmung sofort auf.
Es war unverkennbar Mavis Freestone, die laut lachend mitten im Zimmer stand. Sie war nicht nur Eves beste Freundin, sondern geradezu dafür geschaffen, im Mittelpunkt zu stehen.
Sie war ein zierliches, beinahe elfengleiches Geschöpf. Wenn man akzeptierte, dass es Elfen in Mikro-Shorts und mit neonfarbenen Gel-Sandalen gab.
Mavis’ Haar war heute sommerblond. Eine eher konservative Farbe, bis man die pinkfarbenen und leuchtend blauen Spitzen mit den eingeflochtenen, winzigen, klimpernden Silberglöckchen sah. Ihr Top war kurz und rückenfrei und wies über den Brüsten eine komplexe Serie sich überkreuzender, ebenfalls pinkfarbener und blauer Streifen auf.
Obwohl ihr freier Bauch so flach war wie ein Brett, wurde Eve durch seinen Anblick - schmerzlich - daran erinnert, dass in diesem Bauch ein Baby wuchs.
Wahrscheinlich war das hochmoderne Outfit eine Kreation von Mavis’ großer Liebe, dem hünenhaften Leonardo, der so überglücklich auf die schicke zukünftige Mum hinunterblickte, dass es überraschte, dass seine Pupillen noch nicht die Form von Herzchen angenommen hatten, dachte Eve amüsiert.
Von seinem Platz in einem Rollstuhl blickte der für gewöhnlich stets säuerliche Summerset mit einem warmen Lächeln auf das Paar.
Sie verspürte einen Hauch von Mitleid, als sie sein ausgestrecktes Gipsbein und die Schlinge um seine Schulter sah. Sie wusste, wie es war, sich Knochen zu brechen und Muskeln zu verrenken - und wie unerträglich die erzwungene Tatenlosigkeit für einen Menschen war, der normalerweise immer alles selber machte.
Vielleicht hätte sie etwas Tröstliches oder sogar ansatzweise Freundliches gesagt, doch er wandte den Kopf,
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