Der Hauch von Skandal (German Edition)
schon zu Lebzeiten als Held gegolten hatte. Joanna Ware musste ein mehr als schmückendes Beiwerk für Wares Ruhm gewesen sein und hatte mit ihrer Eleganz und ihrem Stilgefühl seinen Heiligenschein wahrscheinlich noch aufpoliert. Doch dann musste irgendetwas geschehen sein, was zwischen den beiden alles hatte schiefgehen lassen.
„ Sie gehen davon aus, dass ich diejenige bin, die sich im Unrecht befand …“
Irgendwo tief in seinem Innern verspürte Alex einen flüchtigen Anflug von Sympathie für Joanna Ware. Dennoch blieben Zweifel. Auf dem Totenbett hatte Ware seine Frau ein hinterlistiges, manipulierendes Frauenzimmer genannt – harte Worte voller Verbitterung. Dafür musste es einen Grund gegeben haben …
Ungeduldig schob Alex diese Gedanken beiseite. Er war sich nicht sicher, warum er überhaupt so viele Gedanken an Joanna Ware verschwendete. Es machte ihn wütend, und es war völlig inakzeptabel, dass er sich auf eine merkwürdige Art zu ihr hingezogen fühlte, denn das stand in direktem Widerspruch zu dem, was sie beide wollten. Trotzdem ließ sich das Gefühl nicht unterdrücken, es weigerte sich beharrlich. Das bereitete ihm Unbehagen und machte ihn zornig. Auch hasste er es von ganzem Herzen, in David Wares Privatangelegenheiten hineingezogen zu werden. Als er den Anwälten den Brief seines verstorbenen Freundes übergeben hatte, war er überzeugt gewesen, dass die Sache damit für ihn erledigt war. Und doch saß er jetzt hier; gegen seinen Willen war er noch tiefer in Wares Angelegenheiten verstrickt worden.
Er sehnte sich von hier fort.
Vor der Tür waren plötzlich Geräusche zu hören. Mit einer fast theatralisch anmutenden Geste wurde sie vom Sekretär geöffnet, und Lady Joanna Ware schwebte ins Zimmer. Alex erhob sich. Mr Churchward sprang ebenfalls auf, so eifrig, dass er dabei einen Stapel Papier von seinem Schreibtisch fegte.
„Mylady!“ Churchward wirkte vorübergehend ganz benommen, und Alex wusste, wie er sich gerade fühlte. Joannas Auftritt hatte etwas Helles, Lebendiges in den verstaubten Raum gebracht und die Schatten und die Spinnweben verdrängt. Einen Moment lang war Alex wie geblendet, als blickte er direkt in die Sonne. Seltsam dachte er, denn sein erster Eindruck von Joanna war der von kühler Oberflächlichkeit und Selbstzufriedenheit gewesen. Nun jedoch strahlte sie nichts als Wärme und Charme aus. Ihm war, als sähe er eine ganz andere Frau vor sich. Sie reichte Mr Churchward die Hand und lächelte, ehrlich erfreut, den Anwalt zu sehen. Ihre spröde Fassade war gänzlich verschwunden und einer Aufrichtigkeit gewichen, die vollkommen natürlich wirkte.
An diesem Morgen trug Joanna ein sonnengelbes Seidenkleid mit einer passenden kurzen Jacke, die mit schwarzer Spitze besetzt war. Ein kecker kleiner Hut wippte auf ihren hochgesteckten kastanienbraunen Locken. Sie sah atemberaubend hübsch aus, sehr jung und beunruhigend unschuldig. Ihre Aufmachung war stilvoll und offensichtlich teuer; sie wirkte durch und durch adrett und gleichzeitig auf subtile Weise verführerisch. Alex, der von Mode keine Ahnung hatte und sich auch nicht dafür interessierte, konnte sich nicht erklären, warum der Anblick eines so dezenten Kleides genau die gegenteilige Wirkung auf ihn hatte und ihm das Gefühl gab, ein ziemlich unanständiger Mensch zu sein. Das Kleid verhüllte Joanna züchtig vom Hals bis zu den Füßen und weckte in ihm den Wunsch, es ihr auszuziehen, am liebsten sofort und ganz ausführlich. Er riss sich zusammen.
„Ich bin überrascht, dass Ihr Hund sich bewegen kann“, sagte er, als der Terrier hinter ihr ins Zimmer trottete. Die große Schleife auf seinem Kopf passte genau zu Joannas gelbem Seidenkleid. „Hoffentlich hat er den Weg von Ihrer Kutsche bis hierher nicht zu anstrengend gefunden.“
Joanna wandte sich ihm zu. Sie sah ihn aus ihren violetten Augen an und schien nicht erfreut, ihn zu sehen. Die Winkel ihres sinnlichen Mundes bogen sich missbilligend nach unten, was Alex wiederum äußerst reizvoll fand.
„Mein Hund heißt Max“, sagte sie, „und er ist ein Border Terrier. Als solcher ist er äußerst bewegungsfreudig und lebhaft. Er möchte sich einfach nur nicht unnötig verausgaben.“ Wie zum Beweis nahm der Hund gnädig den Keks an, den Mr Churchward aus seiner Schublade geholt hatte, rollte sich auf einem von der Sonne beschienenen Fleckchen auf dem Boden zusammen und schlief ein. „Mr Churchward hat mir nicht gesagt, dass Sie auch anwesend sein
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