Der Hauch von Skandal (German Edition)
er.
Joannas friedvolle Gefühle verflüchtigten sich. Wie typisch für einen Mann, an Lösungen für Probleme zu denken, die sie selbst noch gar nicht verinnerlicht hatte. Sie hatte sich erst einmal ihren Empfindungen und Gedanken hingegeben. Ihr Ärger regte sich wieder. „Ganz im Gegenteil“, widersprach sie kühl. „Ich miete ein Schiff, reise nach Bellsund und hole Miss Ware selbst ab.“
„Das ist unmöglich“, stellte Alex sachlich fest, aber Joanna entging nicht, dass Emotionen in seiner Stimme mitschwangen. Erschrecken, Missbilligung oder vielleicht noch etwas ganz anderes? Sie war sich nicht so sicher. Seine Miene war ausdruckslos, doch sie war davon überzeugt, dass er nicht so gelassen war, wie er sich gab.
„Ach, und warum?“ Ihr fielen mindestens zehn Gründe ein, warum es schwierig – wenn nicht sogar unmöglich – für sie werden würde, nach Spitzbergen zu reisen, aber sie wollte seine hören.
„Es verkehren nicht regelmäßig Schiffe in die Arktis“, erklärte Alex. „Sie werden keines finden, das Sie mitnimmt.“
„O doch, wenn ich entsprechend dafür bezahle.“
Wieder sah sie ein unbestimmbares Gefühl in seinen Augen aufflackern. „Sie müssen ja sehr viel Geld damit verdienen, der Londoner Gesellschaft Tand und modischen Schnickschnack zu verkaufen, wenn Sie es sich leisten können, ein Schiff zu mieten.“ Er hörte sich herablassend an, und ihr Zorn wuchs. „Obwohl Sie sicherlich gar keine Ahnung haben, was das Ganze wirklich kostet.“
Die hatte Joanna wirklich nicht, aber sie wollte verdammt sein, das zuzugeben. „Ihre Besorgnis rührt mich“, gab sie zurück, „aber Sie brauchen sich keine Gedanken zu machen. Wie schon erwähnt, habe ich zusätzlich zu meinem Einkommen durch den Verkauf von Tand im letzten Jahr auch noch eine beträchtliche Erbschaft gemacht.“ Das entsprach nicht ganz der Wahrheit – die Erbschaft war eher bescheiden, und diese Reise würde alles davon verschlingen, wenn nicht sogar noch mehr –, doch das brauchte Alex Grant nicht zu wissen.
Ihre Blicke trafen sich, ihrer funkelnd und herausfordernd, seiner dunkel und unheilvoll.
„Sie können nicht allein in die Arktis reisen.“ Alex klang jetzt wirklich aufgebracht. „Der Gedanke ist völlig abwegig. Ich habe bereits angeboten, Miss Ware zurück nach London zu begleiten.“
„Nein!“ Joanna konnte ihm nicht erklären, dass sie im selben Moment, da sie von Davids Tochter erfahren hatte, ein überwältigendes und beharrliches Bedürfnis verspürt hatte, dieses Kind als ihr eigenes anzunehmen. Der Gedanke an dieses Waisenkind in einem so weit entfernten Kloster hatte ein Gefühl in ihr geweckt, das stärker war als alles, was sie bisher gekannt hatte. Ein Bedürfnis, einen Anspruch zu erheben, zu verteidigen, zu beschützen, etwas für sich selbst zu holen aus dem Scherbenhaufen, den David hinterlassen hatte, und dieses Kind vor allem Schaden zu behüten. „David hat mir diese Aufgabe zugeteilt“, betonte sie. „Ich muss sie erfüllen.“
„Sie haben doch nie getan, was Ihr Mann von Ihnen verlangt hat“, gab er zurück, und Joanna stockte der Atem. „Warum ausgerechnet jetzt?“
„Weil ich es möchte.“ Sie dachte gar nicht daran, ihm das näher zu erklären. „Die Mönche werden sich viel leichter überreden lassen, das Kind mir, seiner Witwe, zu übergeben als Ihnen, Lord Grant.“ Sie sah ihn an. „Sie verfügen über keine besonders guten Überredungskünste, nicht wahr? Sie neigen eher zu direktem Eingreifen, so weit ich das gesehen habe.“
„Ich kann sie dazu bringen, mir zu erlauben, dass ich Nina nach Hause bringe“, sagte Alex. Seine Miene war finster und unnachgiebig. „Ich kenne das Kloster Bellsund … Die Mönche dort vertrauen mir.“ Er betrachtete sie abschätzend. „Ich kann mir sogar vorstellen, dass sie große Bedenken haben werden, Ihnen das Kind auszuhändigen, Lady Joanna. Eine alleinstehende Frau, eine Witwe, erfährt ein gewisses Entgegenkommen, hat aber nur eine untergeordnete Stellung in ihrer Gemeinschaft. Erst recht, wenn es sich um eine Ausländerin handelt.“
Das war ein weiterer Stolperstein, mit dem Joanna nicht gerechnet hatte. Sie hatte keinerlei Zweifel an dem, was er sagte, denn in der kurzen Zeit, die sie sich kannten, war er stets gnadenlos ehrlich zu ihr gewesen. Mit David verhielt sich das ganz anders. Hatte er gewusst, dass die Mönche sich sträuben würden, ihr das Kind anzuvertrauen, als er diesen ungewöhnlichen Nachtrag
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