Der Hauch von Skandal (German Edition)
Leute reisen ständig in so weit entfernte Länder wie Indien oder Amerika.“
„Sie haben keine Ahnung, wovon Sie reden“, konterte Alex schroff und dämpfte ihren Optimismus schlagartig. „Ich wette, Sie sind noch nie im Leben im Ausland gewesen.“
„Ich war in Paris“, teilte Joanna ihm trotzig mit. „Nach dem Vertrag von Amiens.“
„Paris lässt sich wohl kaum mit der Arktis vergleichen.“ Alex seufzte schwer. „Ich hätte mir denken können, dass Sie dem Modetrend folgen würden, nach Frankreich zu reisen.“
„Ich bin ihm nicht gefolgt, ich habe ihn ins Leben gerufen.“
Wieder seufzte Alex und rieb sich abwesend den Oberschenkel, als täte ihm das Bein weh. „Lady Joanna, bitte …“ Er klang frustriert und verärgert. „Sie machen sich überhaupt keine Vorstellung davon, wie äußerst unbequem eine solche Reise ist.“ Mit seinem Blick streifte er ihr keckes Hütchen und die eleganten Schuhe und machte aus seiner Missbilligung und Verachtung gar keinen Hehl. Joannas Wangen begannen zu glühen. „Schon nach kurzer Zeit würden Sie es hassen. Sie könnten nicht einmal ein Viertel Ihres gewohnten Lebensstandards ohne warmes Wasser, saubere Kleidung und Bedienstete aufrechterhalten.“
Ihre Wangen glühten noch heftiger. „Glauben Sie wirklich, solche Dinge wären für mich von Bedeutung?“, fragte sie empört.
„Ja, das glaube ich.“ Er zuckte die Achseln. „Nicht, dass ich Ihnen das zum Vorwurf machen würde …“
„Wie großzügig von Ihnen!“
„Aber eine Frau, die mit ihrem Leben nichts Wichtiges anzufangen weiß und bei der sich alles um oberflächlichen Schnickschnack und Müßiggang dreht, wird in einem so feindseligen Klima niemals überleben …“
Joanna hörte gar nicht mehr zu. Müßig? Oberflächlich? Sie kochte vor Zorn. Sicher war sie nie ein echter Blaustrumpf gewesen, der intellektuelle Abhandlungen schrieb und einen philosophischen Salon unterhielt. Das war eher Merryns Bereich. Auch traf es zu, dass ihr Leben in der Londoner Gesellschaft meist amüsant und unbeschwert verlief. Das hieß aber noch lange nicht, dass man sie als albernes, flatterhaftes Gesellschaftsdämchen abtun konnte, als Frau mit dem gefühlsmäßigen Tiefgang einer kleinen Wasserpfütze. Was unterstand sich Alex Grant mit seinem jugendlichen Draufgängertum und seiner Arroganz, sie als rückgratloses Geschöpf darzustellen? Sie war wild entschlossen, ihm das Gegenteil zu beweisen. „Nein“, unterbrach sie ihn. „Sparen Sie sich die Mühe, Lord Grant. Ich gehe jetzt.“
Alex stand auf und entfernte sich wütend ein paar Schritte von der Bank. Er bewegte sich ziemlich steif, als litte er wieder unter seiner alten Verletzung. Plötzlich drehte er sich so abrupt um, dass Joanna zusammenschrak. Er stützte sich auf die Armlehne der Bank, beugte sich über sie und nahm ihr so jede Bewegungsfreiheit. Wieder wurde sie eingehüllt von seiner körperlichen Präsenz und zitterte vor Aufregung und Furcht.
„Sie verstehen nicht ganz, Lady Joanna“, stieß er zähneknirschend hervor. Seine Augen funkelten, und Joanna konnte seinen Zorn beinahe greifbar spüren. „Frauen sind schon auf weniger anstrengenden Reisen gestorben.“
„Frauen sind auch schon zu Hause gestorben“, gab Joanna hitzig zurück. „An irgendeiner Krankheit, im Kindbett oder sogar ganz einfach deswegen, weil ihr Kleid an einer Kerze Feuer gefangen hat.“ Sie hob die Hände. „Männer übrigens auch. Lord Rugby starb an einer Erkältung, die er sich in Brighton zugezogen hatte. Man kann sich nicht vor jedem Unglück schützen, Lord Grant.“
„Man muss es aber auch nicht gezielt ansteuern“, konterte er. Er sah aus, als hätte er sie am liebsten geschüttelt. „Müssen Sie denn wirklich so vorsätzlich dumm sein? Wenn Sie auf dieser Reise bestehen, werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um Sie davon abzuhalten.“ Er richtete sich auf. „Niemand wird Sie auf seinem Schiff mitnehmen. Ich werde dafür sorgen, dass Ihr Abenteuer scheitert, bevor es überhaupt anfängt.“
Seine Hände lagen jetzt auf ihren Oberarmen. Wieder ging ihr seine Berührung durch Mark und Bein und ließ sie erbeben. Er zog sie zu sich hoch, und plötzlich standen sie nah voreinander; so nah, dass sie merkte, wie schwer er atmete. Sein frisches, nach Zitrusfrüchten duftendes Rasierwasser stieg ihr in die Nase. In seinem Gesicht entdeckte sie Zorn, der sich unvermittelt in etwas anderes verwandelte, etwas Glühendes, Leidenschaftliches,
Weitere Kostenlose Bücher