Der Hauch von Skandal (German Edition)
aufgesetzt hatte? Versuchte er sie zu überlisten, sie in die Irre zu führen, sie mit ihrem Herzenswunsch nach einem Kind zu ködern und es ihr dann im letzten Moment vor der Nase wegzuschnappen? Nicht einmal er könnte so grausam sein. Doch sicher sein konnte sie sich nicht, und der Gedanke an das einsame kleine Mädchen im Kloster ließ ihr gar keine andere Wahl als zu versuchen, es von dort wegzuholen.
Sie seufzte. „Es tut mir leid. Ich kann nicht zulassen, dass Sie an meiner Stelle für mich tätig werden. Und ich verstehe auch nicht“, fügte sie hinzu, „warum Sie so darauf erpicht sind, mir Ihre Hilfe anzubieten. Ich hätte gedacht, eine weitere Verpflichtung wäre das Letzte, was Sie sich wünschen.“ Sie sah ihn an. „Und dass ich obendrein wahrscheinlich der letzte Mensch wäre, dem Sie gern helfen wollen.“
„Ich bin nicht im Mindesten darauf erpicht , Ihnen zu helfen“, korrigierte er sie in seiner üblichen schonungslosen Offenheit. Er klang gereizt und verärgert. „Aus Freundschaft zu Ware fühle ich mich dem Kind gegenüber verpflichtet, das ist alles. Hätte ich gewusst, dass er eine Tochter zurückgelassen hat, verwaist und in einer solchen Notlage …“ Er verstummte. „Ware hat mich gemeinsam mit Ihnen zum Vormund bestimmt. Ich wünschte, er hätte das nicht getan, aber ich werde diese Pflicht sehr ernst nehmen und alles in meiner Macht Stehende tun, um seiner Tochter zu helfen. Wenn das bedeutet, Ihnen beizustehen, dann werde ich auch das tun – sogar gegen meinen Willen.“
„Wie reizend von Ihnen!“ Nun war Joanna ebenfalls aufgebracht. „Nun, ich wünsche Ihren unwilligen Beistand nicht, Lord Grant! Ich bin sehr wohl imstande, allein nach Bellsund zu reisen.“ So sehr sie versuchte, zuversichtlich zu klingen, so weit war sie in ihrem Innern davon entfernt. Sie erschauerte bei dem Gedanken, was sie alles zu bewältigen hatte. Sie war keine Forschungsreisende, die sich furchtlos auf die Suche nach neuen Ländern und Abenteuern machte. Nie hatte David gewollt, dass sie ihn auf seinen Reisen begleitete, und sie hatte die schrecklichsten Geschichten von Strapazen, Krankheiten und erlittenem Schiffbruch gehört. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie sich nicht weiter von zu Hause entfernt als bis zu den Geschäften in der Bond Street, doch das stand leider nicht zur Diskussion …
Alex beobachtete sie, und sie glaubte sowohl Mitleid als auch Gereiztheit in seinem Blick wahrzunehmen. Energisch straffte sie sich.
„Wenn Sie nichts Sachliches mehr zu unserer Unterhaltung beizusteuern haben, wünsche ich Ihnen einen guten Tag“, sagte sie. „Ich muss noch einige Vorkehrungen treffen. Wenn ich mit Nina aus Spitzbergen zurückgekehrt bin, werde ich mich mit Ihnen in Verbindung setzen, damit wir die finanziellen Aspekte ihrer Ausbildung besprechen können. Obwohl …“ Sie sah ihn ironisch an. „Bis dahin werden Sie wahrscheinlich längst wieder auf dem Weg zu einem neuen Abenteuer und nicht mehr in London sein.“
Er warf ihr einen finsteren Blick zu und ignorierte ihre Stichelei. „Es ist absolut töricht von Ihnen, sich einzubilden, Sie könnten sich allein auf diese Reise begeben, Lady Joanna.“
„Vielen Dank, ich weiß, wie Sie über mich denken. Und Sie sind ein unhöflicher Flegel.“
Sie wollte aufstehen, doch er hielt sie am Handgelenk fest. „Sind Sie wirklich bereit, diese lange Reise ins Unbekannte anzutreten, Lady Joanna?“ Er sah ihr durchdringend in die Augen. „Ich glaube nicht, dass Sie den Mut zu einem solchen Leichtsinn haben.“
Joanna schüttelte seine Hand ab, erzürnt über seine Anmaßung, allerdings noch mehr darüber, welche Wirkung seine Berührung auf sie hatte. „Sie irren sich, Lord Grant“, gab sie frostig zurück. „Ich weiß, Sie halten mich für oberflächlich und dumm, aber ich werde nach Spitzbergen reisen und Ihnen das Gegenteil beweisen. Ich habe nicht vor, seekrank zu werden oder Fieber zu bekommen wie David oder … Skorbut. Nun, all diese Krankheiten eben, unter denen ihr Seeleute so leidet. Ich werde frisches Obst mitnehmen und viel warme Kleidung, um mich vor der Kälte zu schützen …“
Sie verstummte, als Alex schallend auflachte. „Obst verdirbt innerhalb weniger Tage, und ich bezweifle sehr, dass Ihre Londoner Mode dazu geeignet ist, einem Polarwinter die Stirn zu bieten, Lady Joanna.“
„Deshalb möchte ich auch so bald wie möglich aufbrechen“, erwiderte sie. „Wie schlimm kann es schon werden? Die
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