Der Hauch von Skandal (German Edition)
hatte – seit Davids Tod John Hagan gehörte. Hagan hatte ihr großzügig gestattet, darin zu wohnen. Würde er jedoch auch in Zukunft so großzügig sein, nachdem sie seinen Heiratsantrag abgelehnt hatte? Außerdem hatte sie kein anderes Einkommen als ihr Erbe und das Geld, das sie mit ihren Aufträgen verdiente. Wenn nach ihrer Rückkehr niemand sie mehr beschäftigen wollte, wenn die Gesellschaft sie tatsächlich verstoßen sollte, war sie ruiniert.
Sie erschauerte bei dieser Vorstellung und versuchte, sie zu verdrängen. Stattdessen konzentrierte sie sich auf das kleine Mädchen, das verwaist und ganz allein in einem weit entfernten Kloster leben musste. Wieder sehnte ihr Herz sich verzweifelt nach einem Menschen, den sie lieben konnte, und sie war entschlossener denn je, Nina Ware zu retten und zu sich nach Hause zu holen, allen Widrigkeiten zum Trotz.
„Ich werde als Anstandsdame mitkommen und dir beistehen“, tröstete Lottie und vergaß dabei, dass sie im besten Fall flatterhaft und im schlimmsten absolut unzuverlässig war. Sie wartete Joannas Antwort gar nicht ab, ihre Gedanken waren bereits weitergeeilt. „Ich frage mich, ob Merryn uns auf unserer Reise begleiten möchte. Es täte ihr vielleicht gut. Wir könnten sie ein wenig aus sich herausholen und sie mit ein paar jungen Offizieren bekannt machen. Sie verbringt viel zu viel Zeit damit, Trübsal zu blasen.“
„Sie ist nur sehr zurückhaltend“, sagte Joanna. „Mir ist klar, dass du das nicht nachvollziehen kannst, Lottie, aber Merryn ist glücklich mit ihrem Leben, wirklich.“
„Aber sie kann doch unmöglich hierbleiben!“, rief Lottie aus, als wäre Merryn ein hilfloses Kind. „Sie hat keine Freunde, und wo soll sie wohnen? Und wir müssen schon sehr bald aufbrechen, wenn wir diese Expedition noch diesen Sommer machen wollen.“
„Ich werde Merryn fragen, was sie am liebsten tun möchte“, erwiderte Joanna. „In der Zwischenzeit stellt sich uns das praktische Problem, ein Schiff zu mieten.“
„Und Kleider zu kaufen“, erinnerte Lottie sie.
„Natürlich. Obwohl das Schiff wahrscheinlich wichtiger ist.“
„Liebes, wie kann etwas wichtiger sein als neue Kleider?“ Lottie lehnte sich auf dem Sofa zurück, hob die Füße hoch und bewunderte die scharlachroten Pantoletten, die unter dem Saum ihres Kleides hervorlugten. „Ich frage mich, ob Mr Jackman mir vielleicht elegante Überschuhe dafür entwerfen könnte, damit ich sie auch im Schnee tragen kann.“
„Du wirst Stiefel tragen müssen“, gab Joanna zu bedenken.
„Liebes, aber nur, wenn sie elegant aussehen! Ich will keine von diesen klobigen Dingern, die arme Leute tragen!“ Lottie streckte die Hand wieder nach dem Bonbonteller aus und lächelte zufrieden wie eine Katze. „Wie dem auch sei, wegen des Schiffs brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Captain Purchase wird begeistert sein, dass du die Sea Witch mieten und ihn somit vor dem Gefängnis bewahren willst. Und noch besser – er und Devlin könnten uns gemeinsam dorthin segeln, oder wie immer man das korrekt nennt. Ich werde Dev sofort eine Nachricht schicken.“
Alex Grant wird außer sich vor Wut sein, dachte Joanna. Nicht nur hatte sie sich über seine Warnung hinweggesetzt, ja nicht selbst nach Spitzbergen zu reisen – jetzt heuerte sie tatsächlich auch noch einen Freund von ihm und, schlimmer noch, seinen Cousin an, um sie dorthin zu bringen. Er kann mich nicht aufhalten, sprach sie sich selbst Mut zu. Dennoch durchzuckte sie ein verräterisches Gefühl; der Wunsch, Alex lieber auf ihrer Seite zu haben als zum Gegner.
„Mussten wir uns ausgerechnet hier treffen?“ Alex schaute sich mit deutlichem Missfallen in der Schenke um. Der kleine Raum war dunkel, überheizt und verraucht; das Stimmengewirr war ohrenbetäubend, und die Luft stank nach Ale und billigem Parfüm. Sie befanden sich in einer Nebenstraße in Holborn, und es war eindeutig, dass die „Erfrischungen“, die diese Schenke anbot, mehr umfassten als nur Getränke. Die außergewöhnlich hübsche Blondine, die Alex bei seiner Ankunft begrüßt hatte, war sichtlich enttäuscht gewesen, als er ihre Gesellschaft abgelehnt hatte. Verstimmt hatte sie sich auf die Suche nach einem willigeren und großzügigeren Gönner gemacht; vernehmlich vor sich hin murmelnd, dass dies schließlich kein Kaffeehaus war, wo man einfach so kommen und gehen konnte. Alex hatte ihr schmunzelnd ein Ale spendiert, an mehr war er nach wie vor nicht interessiert. Er
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