Der Hauch von Skandal (German Edition)
und dir ein Kind aufzubürden – ausgerechnet! Das finde ich wirklich außergewöhnlich.“
„Bitte, Lottie!“, tadelte Joanna. „Es ist doch wohl kaum Ninas Schuld, dass ihr Vater sie außerehelich gezeugt hat. Bitte rede nicht von ihr, als wäre sie irgendein exotisches Tier, das ich mir ins Haus holen will.“
Die Worte ließen Lottie gänzlich unbeeindruckt. Zu ihren merkwürdigen, aber durchaus liebenswerten Eigenschaften gehörte es, sich niemals aus der Fassung bringen zu lassen. „Also schön“, meinte sie achselzuckend, „Ich werde sie nicht mehr Davids Bastard nennen, wenn du es nicht willst. Aber du musst zugeben, es ist schon wirklich äußerst befremdlich, dass du sie zu dir nehmen willst.“
Ihr kluger, forschender Blick ruhte auf Joannas Zügen, und einen Moment lang war Joanna nahe daran, ihr den Grund zu verraten. Doch dann machte sie einen Rückzieher. Merryn hätte sie ihre Träume und ihre Sehnsüchte anvertrauen und ihr gestehen können, wie der Wunsch nach einem Kind sie mit unerwartet leidenschaftlicher Heftigkeit übermannt hatte. Aber Lottie … Die Freundschaft zwischen ihnen hatte nie besonders viel Tiefgang gehabt. Lottie war freundlich und großzügig, aber auch haarsträubend indiskret und völlig unfähig, jemandem die Treue zu halten, geschweige denn ein Geheimnis zu bewahren. Joanna wusste, es würde schon genug Klatsch über Davids skandalöses Vermächtnis geben, ohne dass Lottie ihren Teil dazu beitrug.
„David hat mich gebeten, mich um Nina zu kümmern“, wich sie etwas unbeholfen aus. Das stimmte zwar, war aber nicht der wahre Grund.
„Ja, ich weiß, Liebes“, erwiderte Lottie, wie immer völlig unsensibel für mitschwingende Untertöne, „aber David ist tot. Er kann alles Mögliche von dir verlangen, du brauchst seinen Wünschen nicht mehr nachzukommen. Du könntest das Kind einfach in Spitzbergen lassen und es vergessen. Ich würde das tun. Denk doch nur an das Getuschel, wenn sich diese Neuigkeit herumspricht!“ Sie runzelte die Stirn. „Du bist der Liebling der Gesellschaft, aber ich frage mich, ob man selbst dir so etwas durchgehen lassen wird. Dein Cousin John Hagan wird nicht begeistert sein …“
Joanna machte eine ungeduldige Handbewegung. „Ich kann den Mann nicht ausstehen! Glaubst du, ich lasse mich von seiner Meinung beeinflussen?“
„Vielleicht nicht“, gab Lottie bedächtig zurück, „aber er verfügt über einigen Einfluss. Manchmal glaube ich, du hast vergessen, dass das Haus in der Half Moon Street ihm gehört. Wenn er wollte, könnte er dir das Leben ziemlich schwer machen, liebste Jo. Und du bist alleinstehend, ohne jeden Schutz und hast nur sehr wenig Geld.“
„Ich verdiene mehrere Tausend Pfund im Jahr!“, protestierte Joanna. „Außerdem habe ich noch mein Witwenerbe und das Vermächtnis …“
„Ich weiß“, unterbrach Lottie sie kauend. „Wie ich schon sagte, sehr wenig Geld. Dafür könnte ich mir kaum meine Hüte leisten!“ Sie musterte ihre Freundin kritisch. „Es ist ein Wunder, dass du trotzdem immer so stilvoll und elegant gekleidet bist.“
Joanna schwieg. Sie wusste, in dem, was Lottie gesagt hatte, steckte ein Körnchen Wahrheit. Manchmal vergaß sie, wie unsicher ihre gesellschaftliche Position war. Die Londoner Gesellschaft hatte sie gehätschelt, aber sie konnte sie auch vernichten.
Als sie von Nina Wares Existenz erfahren hatte, war ihr nicht eine Sekunde lang in den Sinn gekommen, das Kind seinem Schicksal zu überlassen. Sowohl ihr Herz als auch ihr Verstand sträubten sich heftig gegen diesen Gedanken. Es war einfach unmöglich. Alex mochte seine Vormundschaft für Nina nur aus Verantwortungsgefühl übernehmen, sie aber handelte allein aus Anstand und Liebe. Dennoch war ihr auch bewusst, dass David viel mehr von ihr verlangte, als nur sein uneheliches Kind aufzuziehen. Er forderte einen hohen Preis von ihr. Er wollte, dass sie sein Kind vor den Vorurteilen und der Grausamkeit einer Gesellschaft schützte, die Nina unweigerlich als Bastard abstempeln würde, für den auf dieser Welt kein Platz war. Wenn Joanna diese Herausforderung annahm, konnte sie sehr gut ebenfalls verurteilt und ausgestoßen werden. Die Londoner Gesellschaft liebte ihre Günstlinge, aber sie war eine wankelmütige Geliebte und konnte ebenso mühelos erschaffen wie vernichten. Joannas Position war ohnehin unsicher. Sie hatte kein anderes Zuhause als das Haus in der Half Moon Street, das – wie sie tatsächlich fast vergessen
Weitere Kostenlose Bücher