Der Hauch von Skandal (German Edition)
geteilt.
Eine Weile sahen sie sich in die Augen, und zwischen ihnen keimte ein zartes, zerbrechliches Gefühl auf. Doch dann verschloss sich ihre Miene, und sie entzog ihm die Hand. „Ich bitte dich um Verzeihung“, sagte sie zurückhaltend. „Wir haben geschworen, nie von David zu reden, und ich weiß, es ist sehr unhöflich, mit dem Ehemann über dessen Vorgänger zu sprechen.“
„Joanna …“, begann Alex. Er war nicht sicher, was er ihr sagen wollte. Alles, woran er denken konnte, war, dass sie gerade einen Augenblick der Seelenverwandtschaft erlebt hatten, und dieses Gefühl sollte anhalten. Er war selbst erstaunt, wie sehr er sich das wünschte. Doch Joanna hatte sich wieder von ihm abgewandt, und als er ihrem Blick folgte, sah er Lottie Cummings über das Deck auf sie zueilen. Sie war von Kopf bis Fuß in Pelze gehüllt und sah so skurril aus wie ein als Bär verkleideter Mensch in einer Theatervorstellung. Alex unterdrückte einen Fluch. Der Zauber des Augenblicks war verflogen.
„Lottie“, rief Joanna ihr zu, „wie findest du Spitzbergen bis jetzt?“
„Absolut grausig, liebste Jo.“ Lottie schüttelte sich übertrieben. „Langsam wünschte ich, ich wäre niemals mitgekommen.“
Der Rest der Reisegesellschaft wünscht das schon seit Wochen, dachte Alex bei sich. Alle mit Ausnahme von Devlin. Es war unmöglich, auf einem Schiff Geheimnisse zu haben, und Lotties unersättliche Gier nach dem jungen Mann wurde von der Mannschaft häufig und mit derbem Humor thematisiert.
Joanna wirkte sehr enttäuscht. „Aber du hast mir doch erst vor einer Woche vorgeschwärmt, wie viel Spaß du auf dieser Reise hättest“, protestierte sie.
„Ist das wirklich erst eine Woche her?“, gab Lottie verstimmt zurück. „Mir kommt es vor wie eine halbe Ewigkeit. Ich habe mir den Polarkreis aufregender vorgestellt, aber was finde ich hier vor? Nichts! Wo sind die Menschen, die Städte?“ Sie streckte einen Arm aus und deutete um sich. „Wo sind hier Bäume? Gott, ich hätte nie gedacht, dass ich mich einmal nach einem Baum sehnen würde.“
Joanna warf Alex einen zaghaften, belustigten Blick zu. Alex zog die Augenbrauen hoch und schmunzelte. „Als wir uns eben unterhalten haben, Joanna, hast du das Fehlen von Bäumen gar nicht erwähnt“, murmelte er.
„Nein, das habe ich nicht“, bestätigte sie. „Dabei ist es wirklich schade, dass es hier kaum Grün gibt.“ Sie atmete tief durch. „Aber du musst zugeben, Lottie, es ist beeindruckend. Diese Kargheit ist großartig, geradezu überwältigend.“
Alex lächelte sie an und sah, wie sie errötete. Das ist Joanna, dachte er plötzlich. Schnell bereit, die Wogen zu glätten, um zufriedene Menschen um sich zu sehen. Er erinnerte sich daran, wie sie Mr Churchward wegen des Testaments beschwichtigt hatte, und ein seltsames Gefühl regte sich tief in seinem Innern.
Lottie sah Joanna äußerst missbilligend an. „Ich glaube, deine Krankheit hat dir den Verstand verwirrt, liebste Jo. Das hier ist der ödeste, reizloseste Ort, den ich je im Leben gesehen habe.“
„Was durchaus zu der Frage berechtigt, warum du dann überhaupt mitgekommen bist“, murmelte Joanna vor sich hin. Sie hakte sich bei ihrer Freundin unter. „Komm, lass uns nach unten gehen. Hudson soll uns eine schöne Kanne Tee kochen, um dich aufzuheitern …“
„Liebes!“ Lottie hob dramatisch die Hände. „Hudson ist bei den Shetlandinseln von Bord gegangen. Er ist mit meiner Zofe Lester durchgebrannt. Weißt du nicht mehr? Ich habe es dir doch erzählt.“
„Ich muss zu krank gewesen sein, ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern.“ Joanna machte ein zerknirschtes Gesicht. „Ich habe mich schon gewundert, warum Frazer mir auf einmal behilflich war und nicht Lester.“
„Ach, Frazer hat sich als großartiges Mädchen für alles erwiesen“, schwärmte Lottie. „Er stellt sich beim Ankleiden und Frisieren besser an als jede Zofe.“
„Ja, er kann wirklich gut mit der Brennschere umgehen“, pflichtete Joanna ihr bei.
„Ist es für Frazer nicht äußerst ungehörig, eine Dame in nur spärlich bekleidetem Zustand zu sehen?“, wandte Alex ein. „Ich bin überrascht, er ist doch sonst so sittenstreng.“
„Frazer sagte mir, er hätte schon viele spärlich bekleidete Damen gesehen“, erwiderte Joanna mit einem spitzbübischen Lächeln. „Ehe er zur Marine ging, hat er als Schneider gearbeitet“, fügte sie hinzu und stutzte über Alex’ sichtliches Erstaunen. Sie
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