Der Hauch von Skandal (German Edition)
etwas essen und sich auf den Landgang vorbereiten würde.
Diese Hoffnung hatte er die letzten beiden Stunden gehegt. Jetzt musste er sich wohl damit abfinden, dass sie nicht zu ihm an Deck kommen würde. Er war enttäuscht und zornig zugleich. Sie hatte ihm versichert, alles tun zu wollen, um Nina in Sicherheit zu bringen. Nun war sie bereits an der ersten Hürde gescheitert. Aber wie gesagt – was hatte er anderes erwartet? Joanna war nun einmal, wie sie war, nicht an Mühsal und Entbehrungen gewöhnt. Er hatte einfach nur gehofft, angenehm überrascht zu werden.
Plötzlich hörte er Stimmen auf der Schanze und drehte sich um. Joanna kam auf ihn zu, begleitet von einem Gefolge eifriger junger Schiffsoffiziere, einschließlich Devlin. Alex starrte sie an. Es war Joanna, ohne Zweifel, aber eine Joanna, die wieder ganz in ihrem Londoner Glanz erstrahlte. Sie trug einen langen, leuchtend roten Umhang mit Pelzbesatz, Hut und Handschuhe in derselben Farbe und anmutige Stiefeletten. Ihr glänzendes braunes Haar war hochgesteckt, ihre Wangen schimmerten rosig und wirkten nicht mehr so geisterhaft bleich wie noch zwei Stunden zuvor. Sie trug Max, der ein rotes Mäntelchen anhatte, auf dem Arm.
„Ich fühle mich großartig“, verkündete sie, als sie Alex erreicht hatte. Sie lächelte ihn an, mit einem strahlenden, charmanten Lächeln, von dem Alex wusste, dass es sowohl ihrem Publikum als auch ihm selbst galt. Sie legte ihre kleine, behandschuhte Hand auf seinen Arm. „Ich weiß nicht, was in diesem Haferbrei war, liebster Alex, aber es hat Wunder bewirkt. Und wer hätte gedacht, dass Frazer eine so gute Zofe abgeben würde?“
Ihre Bewunderer lachten. Alex schluckte.
Liebster Alex … Er würde auf keinen Fall dulden, dass sie diese bedeutungslose Anrede für ihn benutzte, mit der sie und ihre Freundinnen so wahllos um sich warfen. Ihr verschmitztes kleines Lächeln erinnerte Alex wieder an die Frau, mit der er in London geschlafen hatte. Am liebsten hätte er sie in die Arme gezogen und sie geküsst, bis ihr Hören und Sehen verging – Publikum hin oder her. Plötzlich wollte er diese oberflächliche Fassade einreißen und wieder die Frau zum Vorschein bringen, die in jener Nacht so warm, sinnlich und hingebungsvoll in seinen Armen gelegen hatte.
„Gentlemen …“ Er entließ die Offiziere mit einem knappen Nicken, und sie schienen sich auf einmal an ihre Aufgaben zu erinnern. Alex und Joanna blieben allein zurück. „Ich hatte schon nicht mehr geglaubt, dass du kommen würdest“, sagte er. „Du hast dir viel Zeit gelassen.“
Joanna zog die Augenbrauen hoch. „Ich habe keine zwei Stunden gebraucht.“ Wieder lächelte sie verschmitzt, und ihm wurde heiß. „Wenn du das für lange hältst, dann solltest du erst einmal sehen, wie lange ich brauche, um mich für einen Ball zurechtzumachen.“ Ihr Lächeln wurde dünner. „Aber natürlich wirst du das nicht über dich ergehen lassen müssen. Ich hatte vergessen, dass du nach unserer Rückkehr wahrscheinlich die Admiralität um eine neue Entsendung bitten wirst, und dann bist du fort. Danach werden wir uns wohl kaum noch zu sehen bekommen.“
Alex war ein wenig verletzt, dass kein Bedauern in ihrem Tonfall mitschwang, obwohl er wusste, dass das ein Bestandteil ihres Abkommens war. „So leicht wirst du mich nicht los“, gab er sanft zurück. „Wir tragen immer noch gemeinsam die Verantwortung für Ninas Erziehung, und ich habe vor, in England zu bleiben, bis ihr euch alle in eurem neuen Zuhause häuslich eingerichtet habt – und du meinen Erben unter dem Herzen trägst, natürlich.“
Er sah, wie Joanna das Blut in die Wangen schoss. Hastig senkte sie die Lider. „Es ist äußerst taktlos von dir, in der Öffentlichkeit über solche Dinge zu sprechen“, erwiderte sie kühl. „Jeder kann mithören.“
„Meine liebe Joanna, ich fürchte, du wirst deine Vorstellungen von Anstand und Takt etwas überdenken müssen“, teilte er ihr mit. „Ich habe nicht nur vor, über solche Dinge zu sprechen – ich werde auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit dir schlafen. Ich möchte nicht, dass du irgendwelche Zweifel in Bezug auf meine Absichten hast.“
Er hörte, wie sie scharf die Luft einsog; ein Zeichen, dass ihr seine amouröse Zuwendung genauso willkommen war wie die Pest. Sie warf ihm einen Seitenblick zu. „Es kann sein, dass du länger an Land ausharren musst, als dir lieb ist, wenn du darauf warten willst, bis ich in anderen Umständen
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