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Der Hausflug

Titel: Der Hausflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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häßlich.“
    „Woher willst du das wissen?“
    „Aus eurem Fernsehen. Ich bin nicht erst seit gestern auf der Erde. Und bevor ich landete, kreiste ich über hundert Tage im Orbit, das ist…“
    „Ich weiß“, unterbrach Jonas. „Auf einer festen Bahn um die Erde.“
    „Ich mußte ja erst einmal feststellen, ob es eine Zivilisation auf eurem Planeten gibt. Bei uns zu Hause weiß man noch nichts von der Existenz der Menschen. Dann mußte ich herausbekommen, wie weit ihr entwickelt seid – hätte ja sein können, daß ihr noch nicht einmal das Rad erfunden habt –, ich habe also die Fernseh- und Rundfunksendungen geprüft…“
    „Und woher kennst du unsere Sprache?“
    „Sprachen“, korrigierte Xindy. „Das war zuerst etwas verwirrend, daß auf der Erde nicht eine, sondern Hunderte von Sprachen gesprochen werden. Ich selbst kenne natürlich keine irdische Sprache, dafür habe ich einen Computer; wenn man ihm genügend Material gibt, entziffert er jede Sprache der Welt. Ich sage es ihm in meinen Worten, und er übersetzt es. Manchmal schicke ich meine Gedanken auch direkt in dein Gehirn, in Form von Träumen, verstehst du?“
    „Das ist sehr überraschend und verwirrend für mich“, gestand Jonas. „Bekommst du wirklich alles mit, was ich denke? Alles?“
    „Nur, wenn ich es will.“
    „Dann schalte doch bitte deinen Gedankenleser für eine Weile ab. Ich muß mal in Ruhe nachdenken, aber wenn ich weiß, daß du mitdenkst…“
    „In Ordnung“, sagte Xindy. „Es ist mir ganz lieb, wenn ich mich eine Zeitlang nicht um deine Gedanken kümmern muß.“
    „Aber wirklich, ja?“
    „Großes Ehrenwort.“
    Wenn ich es nicht selbst erlebte, dachte Jonas, ich würde es nicht glauben. Da sitze ich auf dem höchsten Berg Europas, in einem fliegenden Haus, und unterhalte mich mit einem Außerirdischen, einem intelligenten Lebewesen von einem anderen Stern. Wahrscheinlich, so hatte Herr Neumann ihnen erklärt, wahrscheinlich gäbe es auch anderswo in dem unendlichen Weltall denkende Wesen, doch niemand wüßte es genau, und schon gar nicht, wie sie wohl aussehen könnten. Er, Jonas Breesemann, wußte es jetzt. Als einziger Mensch auf der Erde: wie eine große Eidechse – oder wie die ausgestorbenen Saurier, die er im Naturkundemuseum in Landsburg gesehen hatte. Die hatten zwar keine Stielaugen gehabt, aber auch eine schuppige Lederhaut und einen Stachelschwanz.
    Vielleicht gab es noch viele Sterne, auf deren Planeten denkende Wesen wie Xindy lebten? Vielleicht, dachte Jonas, sind wir die Ausnahme, und alle anderen würden sich über die komischen, behaarten, schwanzlosen Menschen wundern?
    „Ich habe mich wieder eingeschaltet“, sagte Xindy. „Es war kein Zufall, daß du mich gefunden hast, ich habe sozusagen auf dich gewartet.“
    „Auf mich?“ Jonas blieb der Mund vor Überraschung offen.
    „Ja. Ich habe das Haus erst sichtbar gemacht, als du kamst.“
    „Warum gerade ich?“
    „Weil ich deine Hilfe brauche. Willst du mir helfen?“
    „Klar, wenn ich es kann.“
    „Ich hoffe es, sonst…“Xindy machte eine lange Pause.
    „Was ist sonst?“ fragte Jonas.
    „Sonst bin ich verloren.“
     
     
     
    I ch bin nicht sicher, wie weit das, was ich jetzt schreibe, der Wahrheit entspricht, ich hoffe, es kommt ihr sehr nahe. Aber hier geht es nicht um etwas, das Jonas erlebt hat, sondern das er nur vom Hörensagen kennt, und Berichte aus zweiter Hand sind immer problematisch.
    Vieles, was Xindy ihm sagte, hat Jonas nicht verstanden – ihr müßt bedenken, daß er erst zwölf Jahre alt ist –, aber er hat mir alles berichtet, woran er sich erinnerte. Ich gab mich natürlich nicht mit dem zufrieden, was Jonas von sich aus erzählte, ich half seiner Erinnerung mit meinen Fragen auf die Sprünge.
    Ihr kennt das sicher: Man denkt, man hat etwas total vergessen, wenn einem dann aber die richtigen Fragen gestellt werden, ist man verblüfft, wie vieles man aus dem Gedächtnis hervorholen kann.
    An Xindys richtigen Namen, zum Beispiel, konnte Jonas sich anfangs überhaupt nicht erinnern, nur, daß viele „chl“ und „phr“ und „och“ darin vorkamen. Wir haben lange versucht, ihn Silbe für Silbe zu rekonstruieren, bis Jonas meinte, ja, genauso sei der Name gewesen.
    Der Name von Xindys Heimatplaneten war leicht zu merken gewesen: Chlm. Jonas übte mit mir, so, wie Xindy mit ihm geübt hatte, bis ich es richtig aussprechen konnte, nicht Chilm, nicht Chelm, nur Chlm. Wo aber in unserer Milchstraße mag

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