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Der Hausflug

Titel: Der Hausflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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Rasse? Aber ändern konnte er es sicher nicht. Nicht einmal, wenn er Xindy auf Knien darum bat.
    „Nein“, sagte Xindy, „ändern kannst du es nicht. Was ist, soll ich den Traum nun löschen?“
    „Nein“, sagte Jonas, „sollst du nicht. Ich will keines meiner Erlebnisse mit dir, keinen meiner Gedanken, keinen Traum missen, das mußt du nun verstehen.“
    „Ja, aber du wirst es schwer haben, damit zu leben“, meinte Xindy, „niemand wird dir glauben.“
    „Da kann ich nur einen gewissen Jemand zitieren, der vorgestern zu mir sagte: Ist es wichtig für dich, daß man dir glaubt? Ist nicht allein wichtig, daß du es erlebst?“
    „Wie du meinst. Ich schalte mich wieder aus deinen Gedanken.“
    „Warum? Ist was nicht in Ordnung mit dem Haus?“
    „Das nicht. Ich brauche jetzt alle Gedanken für mich.“
    „Ich wollte dich gerade ein bißchen ausfragen“, sagte Jonas.
    „Später. Ich muß verdammt aufpassen. Über der Wüste ist die Luft voller Löcher.“
    „Luftlöcher?“ Jonas kicherte. „Das kannst du einem erzählen, der sich die Hosen mit der Kneifzange anzieht.“
    „Macht man das? Wie, wann, warum?“
    „Ach, das ist nur eine dumme Redensart“, sagte Jonas. „Gibt es tatsächlich Löcher in der Luft?“
    „Stellen, an denen plötzlich die Luft dünner wird. Ich führe es dir einmal vor.“
    Das Haus begann unversehens abzustürzen, trudelte, Jonas mußte sich an den Tisch klammern, sein Magen rebellierte.
    „Hör schon auf“, jammerte Jonas. „Ich glaube dir.“
    Noch während des Frühstücks veränderte sich das Bild der Wüste. Immer öfter ragten zerklüftete Felsen aus dem Sand, Steinfelder wechselten mit Dünen.
    „Das erinnert mich sehr an zu Hause“, meldete sich Xindy, „an die Wüsten auf dem Chlm, nur die Farben sind anders. Paß auf, wir erreichen bald die Steppe.“
    Doch hinter der Steinwüste kam keine Steppe, sondern wieder nur Sandwüste, hochaufgetürmte Dünen, dann die erste Siedlung, ein verlassenes, von seinen Bewohnern aufgegebenes Dorf, zerbrochene Mauern, eingefallene Dächer, eine Handvoll Palmen, die noch dem Ansturm der Wüste trotzten, schon eingezingelte, im Sand ertrinkende Bäume, von einigen ragten nur noch die Spitzen der Blattwedel aus dem Sand, Reste einer Plantage, deren schachbrettartige Reihen gerade noch zu erkennen waren.
    Wenig später flogen sie über eine ausgetrocknete, ausgebrannte Ebene, die sich kilometerweit hinzog und über die der Wind aschgrauen Staub trieb. Lange Risse durchzogen kreuz und quer die verkrustete Erde, zerrissen sie in ausgefranste Fladen, es sah wie ein gigantisches Puzzlespiel aus. Das mußte einst Steppe gewesen sein, überall die Überreste von Grasbüscheln und Sträuchern und Ruinen von Bäumen mit blattlosen, zersplitterten, abgebrochenen Ästen; von den meisten Bäumen waren nur noch die von Wind und Sand zerfaserten Stümpfe übriggeblieben. In der Ferne hing eine schwarzgraue Wolkenwand dicht über der Erde: ein Sandsturm, eine hundert Meter hohe Walze, die über das Land fegte.
    Immer öfter erblickte Jonas jetzt verfallene Dörfer und Tierskelette; halbverwehte Feldsteine und verdorrte Hecken zeigten an, wo einst Felder gewesen waren. Vor gar nicht langer Zeit mußte hier fruchtbares Land gewesen sein. Bestimmt ist das die Sahel-Zone, dachte er. Er hatte im Fernsehen einen Bericht darüber gesehen. Unaufhaltsam, so hieß es da, wuchs die Wüste nach Süden, Kilometer um Kilometer, verschlang riesige Landstriche.
    Am Horizont tauchten dunkle Punkte auf, die sich bewegten. Xindy nahm Kurs darauf, ging tiefer. Ein paar Dutzend Menschen schleppten sich dahin, fast völlig in ihre schwarzblauen oder grauen Gewänder gehüllt, Männer, Frauen und Kinder, viele Kinder, auch sie trugen Bündel, die Frauen bargen die Kleinsten unter ihre Umhänge, die Männer zerrten ein paar Ziegen und Rinder an Stricken hinter sich her, abgemagerte Tiere, buchstäblich nur noch Haut und Knochen.
    Sie flogen so tief, daß Jonas in die Gesichter blicken konnte, ausgemergelte, stumpfe Gesichter mit rot entzündeten Augen. Vor ihnen mußten schon andere hier entlanggezogen sein, ausgebleichte Knochen säumten den Weg, und dann sah Jonas, daß es nicht nur Skelette von Tieren waren, auch von Menschen, Totenschädel. Das Haus stieg unvermittelt auf, beschleunigte, raste vorwärts.
    „Das ist ja entsetzlich“, sagte Jonas leise. Xindy antwortete nicht. Bunte Flecken tauchten vor ihnen auf, kamen schnell näher: ein Zeltlager. Das Haus

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