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Der Hausflug

Titel: Der Hausflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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bremste ab.
    Das war nicht die romantische Zeltstadt eines arabischen Scheichs, wie sie Jonas einmal im Film gesehen hatte, sondern ein riesiger Slum aus notdürftig geflickten oder zerfetzten Zelten rund um einen Brunnen.
    Zuerst sah Jonas nur die lange Kette von Frauen, die auf ihren mageren Schultern ein langes Seil zogen, weit vorgelehnt, die nackten Füße gegen den Boden gestemmt. Dann erkannte er, daß die Frauen einen Wassersack aus dem Brunnenloch zogen. Der Länge des Seils nach mußte das Wasser tiefer als fünfzig oder sechzig Meter unter der Erdoberfläche sein.
    Wie viele Menschen waren nötig, den Wassersack aus dem Tiefbrunnen zu ziehen, dachte Jonas, und wie klein war er, wie wenig Wasser holten sie mit einem Sack empor, viel zuwenig, um alle zu versorgen. Wie lange mochte das Wasser in der Tiefe überhaupt reichen? Wann würde die Wüste diese Menschen auch von hier vertreiben?
    Das Schlimmste aber war der Anblick der Kinder: aufgeblasene Ballonbäuche über stelzigen Knochenbeinen, dürre Ärmchen und abgemagerte Finger, Haut und Knochen, die Köpfe schon jetzt Totenschädel, aus denen übergroße Augen blickten. Hungernde Kinder. Zehntausende von Kindern, so hatten sie im Fernsehen gesagt, würden hier vor Durst und Hunger sterben. Und nicht nur in der Sahel-Zone. Jedes Jahr verhungerten Hunderttausende von Kindern auf der Erde. Jonas mußte den Blick abwenden. Er würgte, versuchte, die Tränen zu unterdrücken.
    „Flieg weiter“, bat er.
    „Warum?“
    „Ich kann es nicht länger mit ansehen.“
    „Da guckt ihr Menschen lieber weg, als zu helfen!“ sagte Xindy böse.
    „Wie soll ich denn helfen? Selbst wenn ich all mein Essen und Wasser hinunterwerfe…“
    „Ich meine nicht dich“, unterbrach Xindy. „Ich meine euch alle. Alle Menschen. Dieses Elend ist euer aller Schuld.“
    „Nein. Das kommt daher, daß die Wüste immer weiter vordringt. Kein Mensch kann sie daran hindern.“
    „Habt ihr nicht mehr als genüg Flugzeuge, um alle hier herauszufliegen? Gibt es nicht Land genug auf der Erde, um sie an einen anderen Ort zu bringen? Nicht genügend Hubschrauber, um ihnen auf der Stelle Wasser und Essen zu bringen? Genug Wasser, um jeden Durst zu löschen? Die, Meere sind übervoll.“
    „Mit Salzwasser“, warf Jonas ein, „das kann man nicht trinken.“
    „Könnte man es nicht entsalzen? Niemand auf eurem Planeten müßte hungern und dürsten, wenn ihr es nur wolltet. Wenn ihr Menschen euch einig wäret, euren Reichtum nicht sinnlos für Waffen verschwenden und – ach was.“ Xindy brach mitten im Satz ab. „Entschuldige, aber dieser Anblick hat mich schrecklich erregt.“
    „Mich auch“, sagte Jonas. „Man ist so hilflos. Kannst du nicht etwas tun?“
    „Was denn? Sie mit dem Haus woanders hinfliegen? Wohin? Würde man sie dort einfach aufnehmen? Und wie lange würde das dauern?“
    „Kannst du nicht wenigstens Regen machen?“ fragte Jonas. „Da oben ziehen so viele Wolken vorbei.“
    „Einmal Regen ist keine Lösung.“
    „Aber es würde bestimmt vielen das Leben retten. Bitte.“
    „Gut, ich will es versuchen, aber ich kann dir nicht versprechen, daß es gelingt. Laß mich nachdenken.“ Xindy verstummte.
    „Es könnte gehen“, sagte er dann. „Ich werde einen Kreis fliegen und versuchen, ein Kraftfeld aufzubauen, mit dem ich die Wolken tiefer ziehen und zusammentreiben kann. Meine Geräte sagen mir, daß man auf der Erde Silberjodid nehmen muß, um Wolken abregnen zu lassen. Kannst du dir das merken?“
    „Ja, das werde ich nicht vergessen“, sagte Jonas. „Silberjodid. Und das darf ich auch weitererzählen?“
    „Soviel kann ich euch schon verraten“, meinte Xindy.
    Das Haus stieg höher, schlug einen weiten Kreis, die Wolken zogen sich von allen Seiten zusammen, bildeten einen Trichter, türmten sich über dem Zeltlager zu einem dichten Wolkenberg auf, Xindy flog mitten in ihn hinein. Es wurde milchig trüb vor dem Fenster, dann sah Jonas, wie sich auf dem Fensterbrett und an der Scheibe Tropfen niederschlugen.
    „Es klappt!“ rief er. „Es regnet.“
    „Freu dich nicht zu früh“, sagte Xindy. „Wir wollen uns lieber erst überzeugen, ob es tatsächlich regnet.“
    Es goß in Strömen, doch niemand verkroch sich im Zelt, alle starrten in den Himmel, viele hatten die Münder weit aufgesperrt, ließen es direkt in den Mund regnen, die Kinder tanzten und jubelten, überall waren Schüsseln und Töpfe aufgestellt, Tücher wurden ausgebreitet, um jeden

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