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Der heilige Erwin und die Liebe

Der heilige Erwin und die Liebe

Titel: Der heilige Erwin und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasna Mittler
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schon, als wir ihn übernommen haben. Mein damaliger Mann und ich«, fügt sie erklärend hinzu. Sie zuckt mit den Schultern. »Schön finde ich das auch nicht gerade, aber für eine Renovierung fehlt mir das Geld!«
    Â»Wo ist denn dein Mann jetzt?«, fragt Jesus neugierig.
    Â»Der ist gestorben«, sagt Rita. »Lungenkrebs mit zweiundvierzig.«
    Â»Oh.« Jesus schlägt sich Erbses Hand vor den Mund. »Ist es blöd, dass ich das jetzt gefragt habe?«
    Rita winkt ab. »Ach was, das ist in Ordnung«, sagt sie. »Das ist schon fünf Jahre her. Damals war’s schlimm, aber mittlerweile geht’s. Und außerdem«, sie lächelt, »habe ich ja jetzt den Erwin.«
    Jesus rutscht auf dem Barhocker vor. Endlich kommen sie auf das Thema zu sprechen, das ihn interessiert. »Und mit dem Erwin«, fragt er aufgeregt, »bist du mit dem so glücklich wie mit deinem ersten Mann?«
    Rita reißt die Augen auf, dann lacht sie los. »Na, du stellst Fragen!«, sagt sie. »Das wirst du doch hoffentlich nicht in deinen Aufsatz schreiben?«
    Jesus schüttelt zaghaft den Kopf.
    Â»Also gut«, sagt Rita. »Das mit dem Erwin ist nicht immer so einfach. Also, nicht dass es mit meinem ersten Mann immer einfach gewesen wäre, bestimmt nicht! Aber mit dem Erwin ist es – anders nicht einfach.« Sie nimmt auf dem Barhocker neben Jesus Platz. Auf der Theke steht ein Blumentopf mit einem Weihnachtsstern darin. Rita dreht eines der roten Blätter zwischen ihren Fingerspitzen hin und her. Es dauert etwas, ehe sie wieder zu sprechen ansetzt. »Den Erwin kenne ich jetzt seit einem Jahr, und er ist mir der liebste Mensch. Aber manchmal«, sie zögert, »manchmal habe ich das Gefühl, dass ich ihn überhaupt nicht kenne, und das macht mich verrückt.« Sie steht abrupt vom Stuhl auf, geht um die Theke herum und beginnt, einige Gläser zu polieren. »Mit Reiner, meinem ersten Mann, habe ich alles zusammengemacht. Den kannte ich schon aus meiner Jugendzeit, der war für mich wie ein aufgeschlagenes Buch. Aber der Erwin«, sie schüttelt den Kopf, »der zieht sich immer wieder vor mir zurück. Ich weiß einfach nicht, woran ich bei dem bin!« Gedankenverloren blickt sie auf die getönten Fensterscheiben, gegen die die ersten Regentropfen platschen. Dann wendet sie sich wieder Jesus zu, der wie gebannt zugehört hat. »Jetzt langweile ich dich hier mit meinen Geschichten. Damit kannst du doch gar nichts anfangen!«
    Wenn du wüsstest, denkt Jesus. Laut sagt er: »Also ich werde Folgendes über dich schreiben: ›Meine Nachbarin heißt Rita und hat eine Kneipe. Früher hat die Kneipe ihr und ihrem Mann gehört, aber der ist leider schon tot. Dafür hat sie jetzt einen neuen Mann, und das ist auch gut so. Wenn sie mal genug Geld hat, wird sie die Kneipe renovieren.‹« Er schaut Rita an. »Ist das in Ordnung so?«
    Â»Ja«, sagt Rita und lächelt, »das ist in Ordnung so.«





rwin sitzt am Tisch und starrt schon seit geraumer Zeit die Regentropfen an, die sich auf der Fensterscheibe sammeln, um dann in langen Streifen die Scheibe herunter zu tränen. Er mag den Tisch am Fenster, den wählt er jedes Mal, wenn er es zu Hause nicht mehr aushält und in sein Stammcafé flüchtet. Hier sitzt er und trinkt Kaffee, sieht dabei den Menschen zu, die auf der Straße vorbeieilen, und freut sich darüber, dass er selbst so gemütlich sitzen kann. Das war nämlich nicht immer so. Ein knappes Jahr ist es her, dass sich sein Leben radikal geändert hat. Davor hat es das Schicksal nicht so gut mit ihm gemeint. Auf der Straße hat er gelebt, mit nicht mehr als einem alten Schlafsack und ein paar Kleidungsstücken. Was dann genau passiert ist, kann sich Erwin noch immer nicht erklären. Eines Tages wachte er auf, wie aus einem tiefen Traum, und lag neben Rita im Bett. Einfach so.
    Natürlich hat er Rita ausgefragt, wie sie sich kennengelernt haben. Zunächst zögerlich, damit sie nicht bemerken sollte, dass er keine Erinnerung daran hatte, dann immer eindringlicher. Mit Willi, einem ihrer Stammgäste, sei er an dem Abend gekommen, erzählte sie. Die beiden hätten fröhlich gezecht. An Willi konnte er sich erst erinnern, nachdem Rita ihn beschrieben und einige Gesprächsfetzen des Abends wiedergegeben hatte. Ein alter Bekannter müsse das gewesen sein, ein

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