Der heilige Erwin und die Liebe
räuspert sich. »Entschuldigen Sie bitte«, bringt es kleinlaut hervor. »Ich wollte Sie nicht belästigen.«
Mit so viel Höflichkeit hat Erwin nicht gerechnet. Er ist einen Moment lang sprachlos. »Wie heiÃt du eigentlich?«, fragt er, nachdem er sich von seiner Ãberraschung erholt hat.
»Olli-Lolli«, antwortet der Junge mit einer kleinen Verbeugung.
»Ich heiÃe Erwin«, sagt Erwin irritiert. »Wir sind uns doch vor ein paar Tagen auf der StraÃe begegnet, nicht?«
Das Kind nickt.
»Wohnst du nicht bei uns nebenan?«
Wieder ein Nicken.
»Und kannst du mir dann vielleicht mal erklären, was du hier zu suchen hast? Das kann ja wohl kein Zufall sein!« Erwin hat drohend den Zeigefinger gehoben. So eingeschüchtert, wie der Junge jetzt aussieht, tut er ihm beinahe leid.
Gott ist die Situation sehr unangenehm. Dass Erwin ihn erwischt, war nicht eingeplant. Und Er hatte gedacht, Er habe sich bei der Beschattung unauffällig verhalten! Was soll ich denn jetzt nur machen?, fragt sich Gott. Und Er beschlieÃt, es mit einem Fünkchen Wahrheit zu versuchen. »Ich habe gestern zufällig gesehen, wie Sie alleine spazieren gegangen sind. Sie haben dabei so einsam ausgesehen«, erklärt Er. »Da wollte ich Ihnen Gesellschaft leisten â wenn auch nur heimlich!«
Die Offenheit des Kindes nimmt Erwin allen Wind aus den Segeln. »Kein Scherz?«, fragt er.
Der Junge schüttelt den Kopf.
Erwin streicht sich verwirrt über den Kopf und bemerkt erst jetzt, wie nass er geworden ist. Nicht nur seine Haare, auch der Pullover ist regendurchtränkt, weil er in der Eile vergessen hat, seine Jacke überzuziehen. Die hängt noch immer über der Stuhllehne im Café, wo auch sein Cappuccino auf ihn wartet.
»WeiÃt du was, Olli-Lolli«, sagt er daher versöhnlich, »lass uns reingehen. Ich lade dich auf ânen Kakao ein!«
er Stall riecht nach feuchtem Stroh und warmen Tierkörpern. Die Pferde stehen auf dem Gang ne ben den Pferdeboxen. Melanie, eine jugendliche Stall helferin, ha t Jesus den braunen Hengst zugeteilt.
»Du reitest heute wieder auf Moritz«, hat sie zur BegrüÃung gesagt und es so klingen lassen, als habe Erbse damit das goldene Los gezogen.
Jetzt steht Jesus neben dem schnaubenden Tier und schaut sich unsicher um. Der Rücken des Pferdes überragt Erbses Kopf um Handbreite. Die anderen Mädchen, wie Erbse ausgestattet mit Helm, Reithose und den passenden Stiefeln, sind damit beschäftigt, die Tiere vorzubereiten.
Eines der Kinder lächelt Jesus zu und entblöÃt dabei eine Zahnlücke, die im Oberkiefer klafft. »Hallo, Erbse!«, sagt es und winkt mit einer behandschuhten Hand. In der anderen Hand hält es das mit Mist verschmierte Werkzeug, mit dem es gerade die Hufe seines Pferdes ausgekratzt hat.
Jesus winkt zurück. Dann geht er zum Kopf des Hengstes vor. Das Tier ist mit den Zügeln an einem Eisenring an der Stallwand festgemacht. Sein Blick aus groÃen, dunklen Augen erscheint Jesus warmherzig und traurig zugleich. Er hebt vorsichtig Erbses Hand und tätschelt dem Braunen die Stirn. »Brav«, sagt er und gibt der Mädchenstimme einen beruhigenden Klang. »Braves Tier.« Er ist sich dabei nicht sicher, wen er beruhigen will â das beeindruckend groÃe Pferd oder sich selbst.
»Erbse! Du hast ja noch nicht mal angefangen!« Die empörte Stimme von Melanie, die plötzlich neben Jesus steht, lässt ihn vor Schreck zusammenfahren. »Jetzt aber schnell!« Melanie ergreift einen Huf des Tieres und beginnt, ihn mit dem Auskratzer zu säubern. »Hol scho n mal den Sattel!«, befiehlt sie Jesus und weist mit dem Kopf in die Richtung, wo die Ausstattung für die Tiere bereitliegt. Mit geübten Griffen sattelt sie das Pferd. Dann blickt sie Jesus auffordernd an. »Na, was ist jetzt?« Melanie weist auf den Steigbügel, der auf Höhe von Erbses Bauchnabel hängt. »Brauchst du âne Räuberleiter?« Ohne die Antwort abzuwarten, verschränkt sie ihre Hände und bietet sie als Aufsteighilfe an.
Jesus streift die Sohlen von Erbses Reiterstiefeln am Steinboden ab, bevor er vorsichtig die linke FuÃspitze in die Hand des Mädchens setzt, wie er es zuvor bei den anderen beobachtet hat. Mit einem kräftigen Ruck wuchtet Melanie Erbses Körper in die Höhe, so dass Jesus fast von allein im Sattel
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