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Der heilige Erwin und die Liebe

Der heilige Erwin und die Liebe

Titel: Der heilige Erwin und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasna Mittler
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Schulfreund, und die beiden hätten das Wiedersehen nach langen Jahren gefeiert. Irgendwann hatte es Erwin gedämmert. Willi, tatsächlich, sein alter Freund aus der Volksschule, den er jahrzehntelang nicht mehr gesehen hatte. Erwin fragt sich, ob dieses Wiedersehen dazu geführt haben kann, dass er alle Erinnerungen an den Abend verloren hat. Vielleicht waren durch das Treffen mit dem alten Freund so viele Erinnerungen an frühere Zeiten wach geworden, dass sie das kurzzeitige Erinnerungsvermögen überlagerten. War so etwas möglich? Willi trifft er seitdem regelmäßig in Ritas Kneipe, und auch wenn Erwin nur noch mit Alkoholfreiem mit ihm anstößt, ist er ihm ein treuer Freund – wie damals, in Kindertagen.
    Willi hat ihm auch geschildert, wo er ihn aufgelesen hatte. Mitten in der abendlich verlassenen Fußgängerzone habe Erwin gestanden und sehr verloren gewirkt. Willi habe ihn angesprochen und mit in die Kneipe genommen, um das Wiedersehen zu feiern. Dort war Erwin schließlich alleine zurückgeblieben. Und so hatte er die Wirtin Rita kennen- und lieben gelernt.
    Ach, Rita, denkt Erwin und rührt versonnen in seiner Tasse. Wie verrückt er nach ihr war, vor einem Jahr. Sie war sein Engel, immer wieder sagte er ihr das, und genau so empfand er es auch. Wie kann es nur sein, dass sie ihm heute oft auf die Nerven geht, diese großartige Frau? Die ihn bei sich aufgenommen hat, ohne viele Fragen zu stellen? Die ihm geholfen hat, sein Leben zu ordnen? Tja, vermutlich ist es gerade das, diese Fürsorglichkeit, mit der sie ihn immer bedenkt, und die sich an schlechten Tagen anfühlt wie ein zu eng sitzender Rollkragenpullover. Denn das Gefühl der Freiheit, dieses Ihr-könnt-mich-alle-mal, das war der große Vorzug, den das Leben auf der Straße ihm damals geboten hat. Zu wissen, dass er tun konnte, was er wollte. Ohne jemanden, der Erwartungen an ihn hatte.
    In Erinnerungen versunken, lässt Erwin seinen Blick aus dem Fenster schweifen. Der Regen fügt dem Grau-in-Grau der Straße eine dunklere Nuance bei. Der Asphalt der Straße glänzt nass, und wenn ein Wagen vorüberfährt, spritzt das Wasser empor und besprenkelt die Fußgänger. Die Scheinwerfer der Autos sind eingeschaltet, obwohl gerade mal Mittagszeit ist. Sie leuchten gegen das graue Dunkel an, ebenso wie die Weihnachtsbeleuchtung, die in die kahlen Äste der Bäume am Straßenrand gehängt ist. Die Passanten, ­je ­der mit einem Regenschirm bewaffnet, ziehen eilig vorbei. Hin und wieder schaut jemand auf, durch die Fensterscheibe des Cafés direkt in Erwins Gesicht. Aber die Blicke sind leer, kein Interesse an ihm als Mensch ist darin zu erkennen.
    Ob mich überhaupt einer von denen wahrnimmt?, fragt sich Erwin. Vermutlich ist er nur ein beliebiges Gesicht, ein Statist, dessen Existenz allenfalls Neid erzeugt bei den Vorübereilenden. Weil er Zeit und Muse hat, an einem Werktag im Café zu sitzen! Während die Welt da draußen für so etwas viel zu beschäftigt zu sein scheint. Aus dem Augenwinkel her­aus nimmt Erwin plötzlich eine Gestalt wahr, die unbeweglich dort draußen verharrt. Er wendet den Kopf. Dort steht der dicke Junge aus dem Nachbarhaus und glotzt ihn an! Was hat der denn hier zu suchen?, denkt Erwin empört. Als der Junge Erwins Blick bemerkt, wendet er schnell den Kopf ab und macht ein paar Schritte rückwärts, wobei er eine ältere Dame anrempelt, die einen Dackel mit Regenmäntelchen spazieren führt. Erwin beeilt sich, nach draußen zu kommen. Das Kind ist verschwunden. Beim genaueren Hinsehen fällt Erwin jedoch ein Wollbommel auf, der über dem seitlich von der Hauswand stehenden Stromkasten hervorlugt. Mit wenigen Schritten ist er bei dem Kasten angelangt. Der Bommel gehört zu einer Mütze, und die sitzt auf dem Kopf des Jungen, der sich hinter dem Kasten zusamm en­gekauert hat.
    Erwin baut sich vor ihm auf. »Dich habe ich gestern doch auch schon hier gesehen!«, blafft er das Kind an. »Verfolgst du mich etwa?«
    Der Junge starrt Erwin mit großen Augen an.
    Wie ein Reh im Scheinwerferlicht, denkt Erwin. Er schlägt einen weniger schroffen Ton an. »Jetzt steh schon auf«, sagt er. »Du wirst ja ganz nass!«
    Der Junge rappelt sich hoch und bringt noch immer keinen Ton heraus.
    Â»Also, sag schon«, fordert Erwin ihn auf. »Was sollte das hier werden?«
    Das Kind

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