Der heilige Erwin und die Liebe
hinter ihrem Rücken die Bänder der buntgeblümten Schürze zu binden, die Rita ihr gegeben hat.
»Ich ehrlich gesagt auch nicht«, gesteht Rita. »Aber irgendwann ist ja immer das erste Mal.« Das Backbuch, das aufgeschlagen auf dem Küchentisch liegt, hat früher Ritas Mutter gehört. »Butter, Zucker, Eier, Honig«, murmelt die Wirtin, während sie noch einmal die Liste der Zutaten durchgeht. »Das Einzige, was uns fehlt, ist der gemahlene Anis.« Erbse zuckt mit den Schultern. »Probieren wirâs ohne!«, sagt Rita bestimmt und stellt alle Zutaten und Geräte auf dem Küchentisch bereit. Sie rührt mit dem Quirl die Butter schaumig, und Erbse fügt nach und nach die abgemessenen Mengen an Zucker, Vanillin, Eiern und Honig hinzu. Als sie einen Teelöffel voll Zimt in die Rührschüssel streut, staubt etwas davon den beiden Bäckerinnen in die Nase.
»Hmmm, das riecht nach Weihnachten!« Erbse schlieÃt genieÃerisch die Augen.
Mit rüttelnden Bewegungen lässt Rita Mehl durch ein Sieb auf die angerührte Masse rieseln. »Schön sieht das aus«, schwärmt Erbse. »Wie Schnee!« Sie wirft einen sehnsüchtigen Blick aus dem Fenster. Grau und trist liegt der Tag da, wie ein ausgetretener Teppich, den schon lange niemand mehr anschauen mag.
»Meinst du, dass es zu Weihnachten schneien wird?«, fragt Rita, die dem Blick des Kindes gefolgt ist.
»Für mich schon«, sagt Erbse und stupst mit dem Zeigefinger die kleinen Gebirgszüge aus gesiebtem Mehl in den Abgrund, die sich auf dem breiten PlastikÂrand der Rührschüssel aufgetürmt haben. »Meine Eltern fahren mit mir in die Berge, wie jedes Jahr. Da schneit es garantiert.«
Rita lässt einen anerkennenden Pfiff los. »Wow, das ist ja schick!«, sagt sie. »Wo fahrt ihr denn hin?«
»In so ein blödes Hotel, mit Galadiner am Heiligabend. Voll langweilig!« Erbse greift nach dem Messbecher mit Milch und kippt den Inhalt in die Schüssel. Grimmig rührt sie in der Masse. Ein weiterer Weihnachtsabend, zu dem sie ein neues Kleid anziehen muss, um dann brav mit ihren Eltern am Tisch zu sitzen. Ein weiterer Abend, an dem sie den endlosen Gesprächen der Erwachsenen lauschen und zwischendurch den langweiligen Vorstellungen irgendwelcher Entertainer zusehen muss. Ein weiterer Weihnachtsabend, an dem sie sich wünschen wird, lustig mit anderen Kindern zusammen unter einem Weihnachts baum zu sitzen, Schokolade zu naschen, so viel sie wi ll, und Weihnachtslieder zu singen. »WeiÃt du, ich möcht e eigentlich nur mal so ein richtiges Bullerbü- Weihnachten haben«, sagt sie leise und lässt vom ÂRühren ab. »Mit GroÃeltern und Kindern und allem Drum und Dran. Mit selbstgebackenen Plätzchen! Wo man lacht und spielt. Wo es gemütlich ist. Wo ⦠wo man abend s noch im Schlafanzug dabeisitzen kann!«
Rita legt den Kopf schief. »Und was sagen deine Eltern dazu?«
Erbse stöÃt einen Zeigefinger in den Teig. »Zu klebrig«, sagt sie.
Rita greift nochmals zum Sieb.
Während Erbse dem Mehlgestöber zusieht, fährt sie mit leiser Stimme fort. »Meine Eltern wollen mir was bieten. Solche Weihnachten, wie sie sie selbst früher erlebt haben, finden sie langweilig. Altmodisch und so.«
»Und deine GroÃeltern?«
»Die Eltern von Papa verbringen den Winter immer auf Teneriffa, und Oma Toni feiert im Altenheim. Der Opa ist schon gestorben, bevor ich auf die Welt gekommen bin.«
»Aber das Skifahren«, sagt Rita, auf der Suche nach einem Thema, mit dem sie das Mädchen wieder aufmuntern kann, »das macht dir doch sicher SpaÃ, oder?«
Erbse blickt auf und lächelt. »Und wie!«, sagt sie stolz. »Ich bin schon besser als Papa!«
Rita hebt den durchgekneteten Teigbatzen aus der Schüssel und legt ihn auf die Tischplatte. »Hier, magst du?«, fragt sie und hält dem Mädchen das Nudelholz hin.
Umständlich fuhrwerkt Erbse mit der Holzrolle auf dem Teig herum.
»Das ist richtig schön, mit dir zusammen zu backen«, sagt Rita plötzlich. »So was habe ich schon ewig nicht mehr gemacht!«
»Und mit dem Erwin?«, fragt Erbse und löst ein kleines Stück vom Teig ab, um es sich in den Mund zu schieben.
»Ach«, Rita winkt ab, »den Erwin brauche ich gar nicht danach zu fragen, das ist nicht sein Ding.«
Das Mädchen
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