Der heilige Erwin und die Liebe
registriert einen traurigen Zug um Ritas Mundwinkel. »Und was ist dann sein Ding?«, fragt es vorsichtig.
»Wenn ich das wüsste«, sagt Rita seufzend. »Der Erwin ist ein ganz Lieber, aber er ist so verschlossen! Ich habe keine Ahnung, was wirklich in ihm vorgeht!« Erbse, die noch immer mit den Unebenheiten im Teigfladen kämpft, reicht Rita das Nudelholz. Kraftvoll rollt die Wirtin drauflos. »WeiÃt du, ich fühle mich oft ganz schön alleingelassen vom Erwin. Klar, wenn ich ihn bitte, dass er mir mal beim Einkaufen hilft oder so, dann macht er das. Aber dass er mal von selbst draufkommen würde? Nie im Leben!«, schnauft sie. »Das war mit dem Reiner, meinem ersten Mann, anders. Wir waren ein richtiges Team, verstehst du? Da hat das mit der Arbeit gleich viel besser geklappt.« Unter Ritas energischen Bewegungen mit der Rolle wird der Teig flacher und flacher, breitet sich zu allen Seiten hin auf der Tischplatte aus. »Ich putze, wasche, kaufe ein«, schimpft Rita. »Ich stehe mir in der Kneipe die FüÃe platt für die paar Euro, die ich nach so ânem Tag in der Kasse habe. Und Erwin â der tut so, als ginge ihn das alles nichts an!« Abrupt hält sie inne und streicht sich mit der mehlbestäubten Hand eine Haarsträhne aus der Stirn. Das Mehl hinterlässt eine feine Spur auf ihÂrer Haut. »Ach herrje«, sagt Rita und blickt Erbse zerknirscht an, »jetzt habe ich es schon wieder getan. Du sollst mich doch stoppen, wenn ich dich mit meinem privaten Mist langweile!«
»Das ist schon okay«, winkt Erbse ab. »Aber was mir Sorgen bereitet, ist das da!« Sie zeigt auf den Teig, der dünn wie Zeitungspapier auf der Tischplatte pappt. »Stand in dem Rezept nicht, dass der Teig einen halben Zentimeter dick sein soll, damit man die Plätzchen ausstechen kann?« Sie grinst, und Rita lächelt zurück. Gemeinsam falten sie den Teig wie ein Stück Stoff zusammen, bis er die gewünschte Dicke erreicht.
Während sie die Ausstechförmchen in den Teig drücken, fragt Rita beiläufig: »Was macht eigentlich dein Fu�«
»Mein Fu�« Erbse schaut überrascht von ihrer Arbeit auf. »Den du dir verknackst hast«, erinnert Rita sie, »beim Reiten!«
»Oh«, sagt Erbse und spürt, dass sie rot wird, was ihr selten passiert. »Das habe ich doch bloà erfunden. Ich hatte einfach mehr Lust, bei dir zu bleiben, als bei diesem Wetter raus zu gehen.«
»Na, da fühle ich mich aber geehrt!« Rita schmunzelt. »Aber wenn du mich das nächste Mal besuchen möchtest, brauchst du dafür keine Geschichten zu erfinden. Komm einfach vorbei, ich freu mich!«
Zur selben Zeit, an einem anderen Ort:
Dass Erwin ein geübter Spaziergänger ist, merkt man gleich. Obwohl Olli-Lolli sich bemüht, ist der Mann ihm immer ein paar Schritte voraus. Gott, der das Ganze aus der Hundeperspektive beobachtet, erinnert sich an seine eigenen Streifzüge, als Er in Erwins Kör per steckte. So ist auch Er damals, vor einem Erdenjahr, durch die StraÃen gezogen. Doch statt auf zwei m enschlichen Beinen ist Er nun auf vier Pfoten unterwegs, ausgestattet mit einer hochempfindlichen Nase, der keiner der vielen Gerüche entgeht, die sich auf der StraÃe, im Park und auch sonst überall um ihn herum entdecken lassen. Es stinkt zum Himmel, findet Gott, und die sensiblen Hundeohren dröhnen ihm von dem Krach, der überall herrscht. Motorenlärm, schrille Stim men, das Quietschen der StraÃenbahn, die vorüber fährt. Und schlieÃlich â Weihnachtsmusik. Gott hebt den Kopf, hält die Schnauze in den Wind. Da Âwehen ihm altbekannte Düfte entgegen. Bratwurstge ruch. Glühweinaroma. Der Duft von gebrannten Man deln und Fettgebackenem. Er braucht Fridos kurzsichtige Augen nicht weiter anzustrengen, um zu wissen, dass sie sich einem Weihnachtsmarkt nähern. Die Beine und Schuhe um ihn herum werden zahlreicher, die Menschen in seinem Blickfeld gedrängter.
»Komm«, sagt Erwin zu Olli-Lolli, »machen wir eine Pause!« Er lotst den Jungen an einen Stehtisch vor einer Würstchenbude. »Was magst du, Bratwurst oder Currywurst?« Erwin, der sich bereits der Theke zugewandt hat, ruft seine Frage über die Schulter hinweg dem Jungen zu.
»Currywurst!«, ruft Gott laut zurück, der sich in einem Anflug von Nostalgie sehnsuchtsvoll an den Geschmack dieser
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