Der Heilige Krieg
mit dieser unvorstellbaren Tat eine Doppelstrategie: »Was Al-Qaida von anderen Terrorgruppen unterscheidet, ist ihre Blutgier. Es geht darum, Berge von Leichen zu produzieren. Es gab also zwei Ziele bei diesen Angriffen: zum einen diese unglaublichen, kinoreifen Bilder zu schaffen, die unvergesslich sind. Und dann ging es darum, so viele Menschen
wie möglich zu töten.« Darum ging es auch den anderen beiden Terrorteams, die sich noch in der Luft befanden. Und so raste American-Airlines-Flug Nr. 77, eine Boeing 757, die der Saudi Hani Handschur lenkte, um 9.37 Uhr in das Washingtoner Pentagon. Eine letzte Maschine, United Airlines Flug 93, gesteuert vom »Hamburger« Ziad Jarrah, stürzte bei Shanksville in Pennsylvania auf eine freie Fläche – Jarrah war der einzige Terrorist, der sein Ziel an diesem Tag verfehlte. Es wird vermutet, dass Passagiere die Luftpiraten angriffen und so einen Weiterflug unmöglich machten – als Ziel hätte diese Maschine das Kapitol in Washington gehabt.
Die 19 arabischen Täter, die an diesem Morgen Amerika angegriffen hatten, waren keine Wahnsinnigen, keine Verzweifelten, die nichts zu verlieren hatten, sondern eiskalt handelnde Fanatiker, die glaubten, etwas gewinnen zu können. »Diese Tat von Terroristen ist eine Tat von medial geprägten Menschen, die nicht nur Tod und Schrecken verbreiten wollen, sondern wirkungsvolle Bilder. Es ist eine öffentliche Inszenierung von Massenmord und dem eigenen Tod. Die eigene kleine Existenz wird dadurch in diesem Moment mit Bedeutung versehen«, beschreibt der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer die Motive derartiger Selbstmordattentäter in seinem Buch Der Mensch als Bombe . Ihr Auftraggeber war Osama bin Laden. Auch er war kein Wahnsinniger, wohl aber hing er einem Weltbild an, das die Forderung nach einer »Wiedergeburt« des wahren Islam mit einem kruden Antisemitismus und Antiamerikanismus verquickte. Im August 2001 hatte er in einem Video zu erklären versucht, warum für ihn Amerika der Hauptgegner sei: »Wir sprechen von der amerikanischen Regierung, aber in Wahrheit ist dies eine israelische Regierung, denn wenn wir die wichtigsten Ministerien und Behörden betrachten – sei es das Pentagon, das Außenministerium oder die CIA –, dann wird man schnell herausfinden, dass es die Juden sind, die in der amerikanischen Regierung das Sagen haben. Folglich benutzen sie Amerika, um weltweit ihre Pläne umzusetzen.« Speziell New York und das World Trade Center galten ihm als »jüdische Ziele«. Am 11. September 2001 ließ er sie angreifen. Etwa 3000 Menschen fielen dem Fanatiker und seinen Handlangern zum Opfer.
»Die angeblich ›globale‹ und ›geniale‹ Terrororganisation Al-Qaida war also für ihren größten Anschlag abhängig von drei Studenten, die eigentlich in Tschetschenien am Dschihad teilnehmen wollten und deshalb eher zufällig in die Ausbildungslager in Afghanistan gereist waren. Das zeigt, dass das normale Fußvolk von Al-Qaida nie dazu in der Lage gewesen wäre, so etwa auszuführen – die Aktionsfähigkeit der Gesamtorganisation wurde durch einen Zufall erst entscheidend erhöht.«
Dr. Guido Steinberg, Islamwissenschaftler und Terrorismusexperte
Die Tat von New York stieß bei arabischen Offiziellen fast überall auf Ablehnung. Denn die meisten arabischen Regierungen standen Al-Qaida und Bin Laden absolut feindselig gegenüber, wussten sie doch, dass dessen Streben ja eigentlich der Veränderung der Machtverhältnisse in der arabischen Welt galt. Es war also nicht nur ein Lippenbekenntnis, als die Arabische Liga ihr »tiefes Mitgefühl für das amerikanische Volk« ausdrückte. Auch Palästinenserführer Jassir Arafat gab sich betroffen: »Es rührt an unsere Herzen.… Gott helfe den Opfern!« Selbst die üblichen Amerikafeinde – von Libyen bis hin zum Iran – verurteilten die Tat. Die saudische Zeitung Okaz kritisierte die Anschläge, die »Unschuldige an ihrem Arbeitsplatz und nicht Soldaten auf dem Schlachtfeld töteten«. Über die Sympathie, die Bin Laden bei der einfachen Bevölkerung genoss, lässt sich nur spekulieren. Glaubwürdige, repräsentative Umfragen gab es in den Diktaturen der arabischen Welt nicht, alle TV-Interviews auf den Straßen boten nur Momentaufnahmen. Amerika war weithin unbeliebt – doch die breite Ablehnung der US-Politik musste nicht unbedingt bedeuten, dass der Durchschnittsbürger Terror und Mord guthieß.
Die USA standen nach dem 11. September unter Schock. Alle
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