Der Heilige Krieg
den Golfkrieg, über das Friedensabkommen von Oslo zwischen Israelis und Palästinensern, über das Regime in Ägypten. Dazu kam die Ansicht, die Muslime seien weltweit bedroht. In Bosnien gab es Krieg und »ethnische Säuberungen«; im Kaukasus verweigerten die Russen muslimischen Völkern das Selbstbestimmungsrecht; lokale Konflikte schwelten auch dort. Atta, ein verschlossener Typ, war regelmäßiger Besucher der Moschee auf dem Steindamm, in der fundamentalistische Hassprediger sein Weltbild festigten. Atta, aber auch Jarrah und weitere Gesinnungsgenossen definierten sich schon bald als militante Islamisten, die sich im Dschihad bewähren wollten. Im Herbst 1999 war bei ihnen der Plan gereift, als Kämpfer den bedrohten muslimischen Brüdern in Tschetschenien beizustehen.
Die ersten Schritte, die sie auf dem Weg in den Dschihad taten, führten sie nach Duisburg. Dorthin reisten Ziad Jarrah, Marwan al-Shehhi und Ramzi bin al-Shibh im November 1999. Durch eine Zufallsbekanntschaft mit einem anderen Araber hatten sie die Telefonnummer bekommen, die sie mit dem Kontaktmann im Ruhrgebiet zusammenbrachte. Der Mauretanier, der sie am Duisburger Bahnhof abholte, wusste, dass diese drei Hamburger bereit waren, für ihren Glauben zu töten und zu sterben. Er horchte auf, als sie ihm von dem Plan erzählten, nach Tschetschenien zu reisen. Der Weg dorthin sei gefährlich, warnte sie der Duisburger Gesinnungsgenosse und machte ihnen einen Vorschlag: Afghanistan sei der ideale Ort, um sich zu einem Gotteskrieger ausbilden zu lassen. Dort, in den Trainingslagern von Al-Qaida, erhalte man das geistige Rüstzeug und eine militärische Schulung. Es sei leicht, dorthin zu reisen – man müsse nur ein Flugticket nach Pakistan buchen, um sich dann über die offene Grenze nach Afghanistan zu begeben. Von Afghanistan sei es dann immer noch möglich, nach Tschetschenien zu gelangen. Die drei waren angetan von diesem sehr konkreten Vorschlag. Wieder in Hamburg, erzählten sie ihrem Freund Mohammed Atta davon. Sofort willigte er ein, mit nach Afghanistan zu kommen. Im November oder Dezember 1999 trafen sie im ostafghanischen Dschalalabad ein.
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Ziad Jarrah (links), Mitglied der »Hamburger Zelle« und einer der Terrorpiloten, bei einer Hochzeitsfeier.
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Als Gläubige in der Al-Quds-Moschee in Hamburg: Mohammed Atta (sitzend, 2. v. r.,) und Ramsi bin al-Shib (stehend, 7. v. l.).
Zu diesem Zeitpunkt spukte in den Köpfen der Al-Qaida-Führung eine Idee herum, die revolutionär war: ein Terrorangriff mit zivilen Flugzeugen, die auf symbolträchtige Ziele in den USA gelenkt werden sollten. »Die Al-Qaida-Führer mühten sich ab, ihre sogenannte Flugzeug-Operation auf die Beine zu stellen«, berichtet der US-Autor Lawrence Wright im ZDF-Interview. »Doch ihnen fehlte das Personal. Die Männer im Lager sprachen kein Englisch, hatten nie im Westen gelebt – die hätten das niemals hinbekommen. Sie wollten schon alles abblasen, als plötzlich Atta und die anderen Jungs aus Hamburg daherkamen! Sie kannten den Westen, beherrschten mehrere Sprachen, waren technisch versiert – ein Traum! Es war wie ein erhörtes Gebet, dass diese Jungs auf einmal dastanden. « Wright betont, dass der größte Terroranschlag der Geschichte von Zufällen abhing – und von einigen wenigen Männern, die so etwas inszenieren konnten.
Bin Laden empfing die neuen Rekruten aus Hamburg persönlich in seinem Gästehaus. Sie wurden nun mit dem »Flugzeug-Plan« konfrontiert – und willigten ein, diese Mission gegen den Erzfeind Amerika zu übernehmen. Mohammed Atta erwies sich als besonders eifrig. »Atta wollte einen Platz in der Geschichte. Aber wie kann ein junger Mann wie er ein Zeichen setzen? Genau das bot Al-Qaida ihm und den anderen: die Chance, Geschichte zu schreiben. Alles, was sie tun mussten, war: sterben«, analysiert Lawrence Wright. Sterben konnte Atta als Selbstmordpilot eines Passagierjets, den er auf ein prominentes Ziel in Amerika lenken sollte. Und dazu mussten er und seine Gefährten lernen, wie man ein Flugzeug
steuert. Bin Laden schickte sie zurück nach Hamburg. Fortan lebten die vier Absolventen des Al-Qaida-Trainingscamps dort als geheime »Hamburger Zelle«. Im Sommer 2000 sollten sie in die USA einreisen – das war offenbar kein Problem für die Hamburger Studenten Mohammed Atta, Ziad Jarrah und Marwan al-Shehhi. Nur dem vierten Mann, Ramzi bin al-Shibh, verweigerten die USA die Einreise. Die drei anderen meldeten sich
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