Der Heilige Krieg
zum Verzicht auf Beute und zur sofortigen Verfolgung der Mauren zu zwingen. Die Koalition der Christen ging Ende Oktober 732 auseinander, ohne dem geschlagenen Feind entschlossen nachzusetzen.
Aus heutiger Sicht wirkt das Verhalten der Sieger mehr als leichtsinnig. Es hatte auch spürbare Folgen. Unter dem Nachfolger Abd ar-Rahmans konnten die Mauren bereits im Folgejahr eine ausreichend große Streitmacht für die nächste »razzia« jenseits der Pyrenäen aufbieten.
Der ewige Feind
Die direkten Folgen der Schlacht von Tours und Poitiers waren, im Gegensatz zu ihrer späteren Verklärung, vergleichsweise unbedeutend. Karl Martell ging daraus fraglos als Sieger hervor. Er hatte das direkte Kräftemessen mit den Muslimen für sich entschieden. Und aufgrund der vorangegangenen Niederlage gegen die Mauren war Odo von Aquitanien quasi von selbst zu einem Vasallen der fränkisch-merowingischen Herrscher geworden.
Der Hausmeier Karl Martell nahm in Tours personelle Veränderungen vor. Er ernannte einen loyalen Vertreter des fränkischen Adels zum dortigen Erzbischof. Dann ließ er noch Befestigungen verstärken, bevor er sich nach Norden wandte, um im kommenden Jahr gegen die Friesen und Sachsen zu ziehen. Erst 735 würde er den Kampf gegen die erstarkten Sarazenen wieder aufnehmen.
Die führerlose Streitmacht der Mauren hatte sich in mehreren Gruppen nach Septimanien und über die Pyrenäen zurückgezogen. Um die Handlungsfähigkeit der Regierung in Córdoba zu gewährleisten, wurde die Position des Gouverneurs der Provinz Andalusien innerhalb weniger Wochen neu besetzt.
In den arabischen Chroniken spielt die verlorene Schlacht kaum eine Rolle. Allein der Tod Abd ar-Rahman ibn Abdallâh al-Ghafiqis führte dazu, dass die Römerstraße zwischen Tours und Poitiers als »Straße der Märtyrer« in die islamische Geschichtsschreibung einging. Die militärische Niederlage wird von den Autoren vor allem dem undisziplinierten Verhalten der Berber angelastet. Nur an wenigen Stellen deuten die Berichte auch Kritik am andalusischen Feldherrn an, der allzu eigenmächtig gehandelt habe. Vielmehr ging das Jahr der Schlacht von Tours und Poitiers aus anderen Gründen in die Annalen des Kalifen von Damaskus ein: 732 konnten die Nachfolger Mohammeds ihren langjährigen Verteidigungskampf gegen die aus dem Kaukasus einfallenden Chasaren erfolgreich beenden.
Die Frage aber, die bis heute vor allem westliche Historiker beschäftigt, bleibt: War der 25. Oktober 732 nun ein Schicksalstag für das christliche Europa?
Man muss den Blick erweitern, um darauf die richtige Antwort zu finden. Im Sommer 732 hatte die Führung der islamischen Provinz »Ifriqia« mit Sitz in Kairuan Angriffe auf Sizilien und Sardinien befohlen. Vielleicht war der Beutezug Abd ar-Rahmans nach Aquitanien Teil einer umfassenderen Strategie, deren Ziel letztlich darin bestand, Europa zu unterwerfen. Aber alle genannten Unternehmungen scheiterten. Sizilien wurde erst im 9. Jahrhundert erobert, im Süden Sardiniens fassten die Muslime erst zwanzig Jahre nach »Tours und Poitiers« Fuß.
Die Teilung des frühen Islam
Mit Abu Bakr, Omar und Othman wurden zunächst nur Gefährten und nicht Familienangehörige Mohammeds als Kalifen berufen. Als Mohammeds Vetter und Schwiegersohn Ali 661 einem Mordanschlag zum Opfer fiel, begann die Spaltung der islamischen Bewegung.
Mohammed hatte es zu seinen Lebzeiten versäumt, seine Nachfolge zu regeln. Bereits die ersten Kalifen, Gefährten des Propheten, gerieten mit Mohammeds Tochter Fatima in Konflikt. Es entbrannte ein Streit, ob die Nachfolge dynastisch – unter den direkten Nachfahren Mohammeds – geregelt werden sollte oder nach Befähigung zu wählen sei. Die Sunniten setzten sich mit letzterer Option durch.
»Und wer da kämpft in Allahs Weg, falle er oder siege er, dem gibt Allah gewaltigen Lohn im Paradies. «
Koran, Sure 4, Vers 74
Sicher kann man davon ausgehen, dass die Muslime Anfang des 8. Jahrhunderts noch ihr globales Ziel verfolgten: Sie wollten im Auftrag Allahs die Welt unterwerfen, um jene Heilsgeschichte zu vollenden, welche mit dem biblischen Monotheismus ihren Anfang genommen hatte. Die enormen Gebietsgewinne des ersten Jahrhunderts schienen sie ja auch in ihrem Tun zu bestätigen. Aber nach den Niederlagen von 732, und vor allem dem Scheitern der Belagerung von Konstantinopel im Jahr 718, stellte sich Europa mehr und mehr als ein unüberwindliches Bollwerk heraus.
Die Schlacht von Tours und
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