Der Heilige Krieg
auf Erden inspirierte Herrscher und Künstler.
Der »wilde« Kreuzzug
Dass sein Wort Gehör fand, dafür sorgte Papst Urban II. schon höchstselbst. Er reiste durch den Süden und Westen Frankreichs, um Fürsten und Adel für die Mission zu gewinnen, schrieb Briefe, um seinem Aufruf Nachdruck zu verleihen. Bischöfe verkündeten den Appell von ihren Kanzeln, Prediger verbreiteten die Kunde in weiten Teilen Westeuropas. Binnen weniger Wochen entstand eine Auf bruchstimmung, die selbst den Papst überrascht haben dürfte. Seine Rede erlangte eine Eigendynamik, die seine Vorstellungen weit übertraf. Zigtausende, Berufene und Unberufene, folgten spontan der Aufforderung, die Glaubensbrüder zu beschützen, während Urban selbst offenbar nur an ein überschaubares Ritterheer gedacht hatte. Es war der Beginn einer Bewegung, die über zwei Jahrhunderte andauern und vor keinem Stand der mittelalterlichen Gesellschaft haltmachen sollte. Am Ende waren es Hunderttausende – Könige und Bettler, Arme und Reiche, Adlige und Knechte, Bauern und Bürger –, die an den Kreuzzügen teilnahmen.
Die Ersten, die gen Heiliges Land zogen, wollten den vom Papst gesetzten Termin nicht abwarten. Prediger und Mönche riefen eigenmächtig zur bewaffneten Pilgerfahrt im Namen Jesu auf. Scharenweise liefen ihnen die Menschen zu: einfache Leute, meist aus der bäuerlichen Schicht, Handwerker, Mittellose, aber auch niederer Adel. Das waren nicht die von Byzanz erbetenen Ritter, die sich spontan versammelten, das war nicht die disziplinierte Kriegerschar, die Urban meinte, sondern ein Volkskreuzzug, dem sich tausende Menschen bereitwillig anschlossen – warum?
Ende des 11. Jahrhunderts waren von den 25 Millionen Menschen, die in Europa lebten, mehr als 90 Prozent Bauern. Nur wenige konnten lesen oder schreiben. Der Glaube an eine gottgewollte Ordnung auf Erden war ungebrochen. Zweifel an der christlichen Weltsicht des Mittelalters, in der auch Teufel und Dämonen einen festen Platz einnahmen, gab es noch nicht. Es war eine Zeit zunehmender Frömmigkeit und der Angst um das eigene Seelenheil. Zudem waren die Lebensumstände in den armseligen
Weilern und elenden Dörfern oft erbärmlich. Krankheiten, Hunger, Missernten und ein Dasein in Unfreiheit bestimmten den Alltag vieler. So hatten Wanderprediger leichtes Spiel, einfaches Volk um sich zu scharen und einen Ausweg aus der Misere zu bieten. Peter von Amiens, genannt »Der Einsiedler«, zählte zu den besonders eifrigen Verfechtern des Kampfes gegen die »Heiden«. Der Eremit war schon um 1090 zu einer Pilgerfahrt ins Heilige Land aufgebrochen und wurde nach eigener Schilderung offenbar von Trupps der Seldschuken gefangen genommen und misshandelt. Der Legende nach gewann er großen Einfluss auf Papst Urban und soll ihn zur Entsendung eines bewaffneten Heeres nach Palästina gedrängt haben. Vor allem aber war er ein Charismatiker unter den Predigern, die in französischen und deutschen Landen Stimmung für den Heerzug ins Heilige Land machten. Peter von Amiens ritt auf einem Esel von Ort zu Ort und behauptete, von Gott selbst eine Botschaft empfangen zu haben. Um ihn rekrutierte sich eine zusammengewürfelte Gefolgschaft von Mittellosen, Glücksrittern und niederen Adligen. Die meisten Angehörigen des »Volkskreuzzugs« waren schlecht bewaffnet und in keiner Weise für einen Marsch von 4000 Kilometern ausgerüstet. So blieb ihnen kaum eine andere Wahl, als sich auf dem Weg durch Raub und Plünderungen zu ernähren, was die Bevölkerung beim Zug durch den Donauraum und den Balkan leidvoll zu spüren bekam. Auch verheerende Pogrome begleiteten den irregulären »Kreuzzug der Armen«, wie er später genannt wurde. Der Raub von Hab und Gut ermordeter Juden diente zur Finanzierung der Reise nach Palästina. Als Händler und Geldwechsler spielte die jüdische Minderheit eine wichtige Rolle für die Wirtschaft in der Mitte Europas. Doch war der Antijudaismus weit verbreitet, er speiste sich aus Legenden und Verdikten. Juden wurden als Christusmörder beschimpft. Wenn man sich schon in die Ferne begab, um die »Anhänger des Islam« als Feinde zu bekämpfen, lag es für viele nahe, sich zunächst an jenen zu rächen, »deren Vorväter« Jesu kreuzigten.
Bild 67
Die Begeisterung für den ersten Kreuzzug war größer, als Papst Urban II. erwartet hatte – Menschen aller Stände melden sich zur Teilnahme.
Bild 43
Der Prediger Peter von Amiens rief noch vor Beginn des ersten Kreuzzugs zur
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