Der Heilige Krieg
»Du sollst nicht töten.« Jesus hatte Gewaltlosigkeit gepredigt und gelebt, nicht nur Nächstenliebe, sondern auch Feindesliebe gefordert. Von Soldaten, die im Kampf getötet hatten, erwartete man unter frühen Christen Reue und Buße. Seit dem 4. Jahrhundert jedoch stellte sich die Frage immer dringlicher, ob es begründbare Ausnahmen gebe, den Gläubigen den Gebrauch von Waffen zu erlauben und den Herrschern das Recht zuzugestehen, Kriege zu führen. Der Kirchenlehrer Augustinus definierte unter dem Eindruck der Plünderung Roms durch die Goten im Jahr 410 das Prinzip vom »gerechten Krieg«. Auch Christen hätten, wenn sie angegriffen würden, ein legitimes Recht auf Verteidigung. Geraubtes dürfe zudem wiedererrungen werden, jedoch müsse immer der Friede das Ziel sein und im Falle des Sieges auch die Schonung des Gegners. Augustinus war der Auffassung, dass Kriege sogar auf Befehl Gottes geführt werden konnten – gegen das Unrecht, gegen fremde Aggression und die Ausbreitung gottloser Mächte. Der Kirchenlehrer bezeichnete die Gewalt selbst aber nie als »heilig«, sondern als letztes Mittel. Andere gingen darüber hinaus: Der römische Kaiser Konstantin hatte im Zeichen des Kreuzes seinen Widersacher Maxentius bezwungen (im Jahr 312). Das Symbol des Heils wurde erstmals zu einem des Sieges umgedeutet, Eusebius von Cäsarea, der wie Augustinus ebenfalls zu den Kirchenvätern zählt, bescheinigte Konstantin, dass er einen »Krieg unter dem Kreuz« führe, »welcher damit heilig« sei. An die Stelle der römischen Götter trat nun der christliche Gott als »Schlachtenhelfer«. Das einst verfolgte Christentum wurde unter Kaiser Theodosius (379 – 395) exklusive Staatsreligion, ihr Gott sollte somit auch Garant für den Fortbestand des römischen Weltreichs sein. Der christliche Bürger musste dafür notfalls auch zu den Waffen greifen. Die Einbindung der Kirche in die Verfassungsordnung des mittelalterlichen Reiches führte immer wieder zu einer »Heiligung« des Krieges. Siege und Niederlagen wurden als Gottesurteile gedeutet. Die Kreuzzüge des Hochmittelalters knüpften daran an, galten als Fortsetzung von früheren Kämpfen im Zeichen
des Glaubens, in denen Gott für die Seinen kämpft und die Seinen für Gott.
Allerdings war ein »gerechter Krieg« nach Auffassung der Kirchenlehrer an Bedingungen geknüpft. Nur bei Einhaltung bestimmter Regeln führte die Ausübung des Soldatenhandwerks nicht zum Verlust des Seelenheils. Ein gottgefälliger Kampf musste Verteidigungscharakter haben, durfte nicht wegen niedriger Motive geführt werden; nur legitime Autoritäten durften dazu aufrufen. Unter diesen Vorzeichen war es möglich, das Töten sogar als Akt der christlichen Liebe zu interpretieren – dazu zählte auch die Bruderhilfe. Der Aufruf Urbans in Clermont war so angelegt, dass die Voraussetzungen eines gerechten Krieges im Prinzip erfüllt waren. Auch durfte sich nur derjenige, der sich aus lauteren, religiösen und nicht aus materiellen Gründen auf den Weg machte, als Krieger Gottes begreifen.
Für die Massen, die sich bald der Kreuzzugsbewegung anschließen sollten, bestand kein Zweifel, dass der Heerzug ins Heilige Land auf himmlische Weisung erfolgte. Die Heimat, Frau und Kinder, auch Besitz ungeschützt zurückzulassen, sich auf eine lebensgefährliche Reise zu begeben – dies war mit irdischen Motiven kaum zu begründen. Die meisten sahen in der Unterstützung für die Glaubensbrüder und den Kampf um die heiligen Stätten einen Gottesdienst. Mit der Teilnahme am Kreuzzug hofften viele auf den verheißenen Erlass von Sündenstrafen und Läuterung. Nur so ist zu erklären, dass die Idee einen regelrechten Flächenbrand entfachte.
»Durch einen Kreuzzug schlägt der Papst gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Er stärkt seine Autorität gegenüber der Ritterschaft. Er hält die gewalttätigen Ritter von ihren Übergriffen auf die Kirche ab und gibt der Christenheit die heiligen Stätten wieder.«
Jonathan Phillips, Historiker
Bild 37
Konstantin der Große erblickt am Himmel ein Kreuz mit den Worten: »In hoc signo vinces« – »In diesem Zeichen wirst du siegen.« Auf dem Sterbebett ließ er sich taufen.
Bild 42
Im 4. Jahrhundert führte Kaiser Theodosius der Große im Byzantinischen Reich das Christentum als Staatsreligion ein. Der Marmorkopf des Kaisers entstand in dieser Zeit.
Bild 59
Der heilige Augustinus predigt seinen Jüngern die »De civitate Dei«. Seine Idee vom Gottesstaat
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