Der Heilige Krieg
hatte gefordert, dass die geistliche Macht über aller weltlichen zu stehen habe. Es kam zum sogenannten »Investiturstreit«, zu einer leidenschaftlichen Auseinandersetzung darüber, wer berufen war, kirchliche Würdenträger, vor allem Bischöfe, zu bestimmen und einzusetzen: weiterhin vor allem weltliche Herren oder der Papst und der Klerus. Der Konflikt eskalierte, der römische Pontifex und Kaiser setzten einander gegenseitig ab, führten sogar Krieg gegeneinander.
Zudem hatte sich der Riss zwischen östlicher und westlicher Christenheit weiter vertieft, beim sogenannten morgenländischen Schisma (Spaltung) 1054 kam es zu spektakulären Gesten gegenseitiger Bannung. Doch blieb die Hoffnung, die Gläubigen wieder zu einen – aber unter wessen Führung? Immerhin hatte der oströmische Kaiser Alexios I. Komnenos den römischen Papst um Hilfe gebeten, was dessen Machtanspruch entgegenkam. Urbans Rede war dazu geeignet, sich als Wahrer und Oberhaupt der gesamten Christenheit darzustellen. Ein Sieg über die Muslime unter seiner Führung hätte eine Einigung der Christen unter dem Primat Roms begünstigt.
»Das christliche Bild vom Islam war zum ausgehenden 11. Jahrhundert noch weitgehend von Unkenntnis, Verzerrungen oder schlichtem Desinteresse gekennzeichnet. Kaum anders sah es aufseiten der Muslime aus.«
Nikolas Jaspert, Historiker
So kreiste Urbans Denken sicher um mehr als nur die Bruderhilfe und die Rückeroberung des Heiligen Landes. Mit seinem Aufruf konnte er das Gesetz des Handelns wieder an sich reißen. Wenn er beabsichtigt hatte, die Christenheit neu auf das Papsttum auszurichten, war Clermont sicher ein wesentlicher Schritt. Der Nachfolger Petri nahm unter Berufung auf eine heilige, von Gott gewollte Mission für sich in Anspruch, im Namen Christi zu sprechen – und fand Gehör.
Als Aufbruchstermin des Zuges ins Heilige Land war der Feiertag Mariä Himmelfahrt, der 15. August des Jahres 1096, festgesetzt worden. Dann sollte die »bewaffnete Pilgerfahrt« beginnen. Der Begriff »Kreuzzug« wurde erst ab dem ausgehenden 12. Jahrhundert geprägt und fand seither Verwendung für das gesamte Zeitalter. Auch frühere Ereignisse wurden nachträglich in Beziehung dazu gesetzt. Karl Martell, der den Ansturm der »Mauren« auf europäischem Boden 732 bei Tours und Poitiers stoppte, sowie sein legendärer Enkel Karl der Große, der ebenfalls gegen muslimische Mächte kämpfte (aber auch mit ihnen paktierte), wurden zu frühen Gottesstreitern des christlichen Europa verklärt und sozusagen rückwirkend in den »Heiligen Krieg« der Kreuzritter im 11. Jahrhundert hineingezogen: »Zur Tapferkeit mögen euch die Taten Eurer Vorfahren anspornen, die Tüchtigkeit und Größe König Karls des Großen und seines Sohnes Ludwig und Eurer anderen Könige, die die Reiche der Heiden zerschlugen und in ihnen das Gebiet der Heiligen Kirche ausdehnten«, hieß es dazu schon – so ein zeitgenössischer Chronist – in Urbans Rede in Clermont.
Gemeinsame Wurzeln der Religionen
Wie sehr sich die drei monotheistischen Religionen Christentum, Judentum und Islam in ihren Wurzeln gleichen, rückte in der Zeit der Kreuzzüge in den Hintergrund. Dass sich Abraham bedingungslos dem Willen Gottes unterwarf, macht ihn zur Schlüsselfigur für Juden, Christen und Muslime. Sie alle glaubten an ein und denselben Gott als Schöpfer und Vollender des Menschen. So lautet der Name Gottes auch bei den arabischen Christen: Allah. Mohammed knüpfte an die bestehenden monotheistischen Traditionen an, betrachtete sich aber selbst als »Siegel der Propheten«, als Letzter in ihrer Reihe. Der Religionsstifter akzeptierte Christentum und Judentum als Buchreligionen, vollzog aber auch eine Abgrenzung. Ihre Angehörigen haben rechtlich einen minderen Status als Muslime. Adam, Abraham, Moses, Salomo und vor allem Jesus nennt der Koran mit großer Ehrfurcht, gelten sie doch allesamt als Propheten und Verkünder des rechten Glaubens. Doch wandte sich Mohammed gegen die göttliche Überhöhung Jesu Christi, auch gegen die Vorstellung, dass er als Prophet derart gedemütigt, gekreuzigt und am Ende zu Tode gemartert worden sei. Demnach fuhr Jesus unversehrt in den Himmel auf.
So weicht der Koran in diesen entscheidenden Punkten von den Evangelien ab.
Bild 58
Christi Himmelfahrt. Osmanische Darstellung, 16. Jahrhundert.
Gerechter Krieg?
Ursprünglich hatte das Christentum noch jede Form von Kriegführung abgelehnt – getreu dem fünften Gebot:
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