Der Heilige Krieg
um das Seelenheil und nicht um Geld und Macht. Viele lockte die Vorstellung, mit dem Einzug in die Heilige Stadt auch ins himmlische Jerusalem zu gelangen. Nach und nach, vor allem bei späteren Kreuzzügen, mögen gesellschaftliche, materielle und politische Motive eine größere Rolle gespielt haben: Gab es doch jüngere Adlige, die in der Erbfolge benachteiligt waren und eine eigene Perspektive oder schlicht das »Abenteuer« suchten. Bei den Kreuzzügen lockte die Aussicht auf ritterliche Bewährung und Ruhm. Andere mögen an Beute gedacht haben oder die Errichtung einer eigenen Herrschaft im Heiligen Land, das in den Augen mancher Zeitgenossen als ein Stück Erde galt, wo »Milch und Honig« flossen. Kaufleute mochte die Aussicht auf Gewinn angezogen haben, denn ein Kreuzzug war auch ein wandelndes Wirtschaftsunternehmen. Auf dem Weg in den Orient konnten neue Handelswege und Märkte erschlossen werden. Fürsten und Könige unterstrichen mit der Teilnahme am Kreuzzug ihren Führungsanspruch im Sinne des Gottesgnadentums. So war die Bewegung, die in den Orient führte, überaus vielschichtig und von miteinander verschränkten Motiven getragen, ein Phänomen, das alle Stände erfasste. Aus allen Teilen des Abendlands, vor allem aus Frankreich und Deutschland und Italien, aber auch aus England, Flandern und Dänemark kamen die Ritter- und Soldatenheere. Es waren laut Schätzungen zwischen 30 000 und 70 000 Bewaffnete und noch einmal halb so viele Unbewaffnete, darunter zahlreiche Frauen, die sich zum ersten Kreuzzug versammelten.
Im Sommer 1096 machte sich die Heerschar in getrennten Zügen auf den Weg in ihre ungewisse Zukunft. Bischof Adhemar von Le Puy war
der geistliche Anführer. Die Lothringer mit Gottfried von Bouillon an der Spitze zogen landeinwärts durch Ungarn, dem Lauf der Donau folgend, die Südwestfranzosen unter Raimund von Toulouse durch Norditalien entlang der Adriaküste. Die Truppen aus dem Norden Frankreichs führte Herzog Robert von der Normandie, die italienischen Normannen Bohemund von Tarent – von Süditalien setzten sie nach Konstantinopel über. Die byzantinische Metropole war Zwischenstation auf dem Weg ins Heilige Land. Welchen Weg die Kreuzritter mitsamt Gefolge auch nahmen – überall gab es Abschnitte, die beschwerlich waren, die über unwegsames Gelände führten, wo unbekannte Gefahren lauerten. Hunger und Durst, Hitze, Kälte, Engpässe bei der Versorgung – all das stand dem Heer der »bewaffneten Pilger« bevor.
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Eine Darstellung aus dem 19. Jahrhundert zeigt einige Führer des ersten Kreuzzugs, im Vordergrund Gottfried von Bouillon und Bohemund von Tarent.
Kultureller Vorsprung
Die Muslime verfügten über ein breiteres Wissen als ihre christlichen Widersacher aus Westeuropa. Sie ließen sich beeinflussen von der indischen, persischen, hellenistischen Philosophie, Wissenschaft und Medizin. In der Zeit vom 9. bis zum 12. Jahrhundert zeigte sich die Überlegenheit der islamischen Kultur besonders. Im weltoffenen Klima Bagdads gediehen herausragende literarische, künstlerische und philosophische Werke. Griechische Philosophie beflügelte das Denken, wenngleich auch dieses Erbe in den Dienst des Glaubens gestellt und mit der Offenbarung in Einklang gebracht werden sollte. Das sizilianische Palermo wuchs unter arabischer Herrschaft kulturell und wirtschaftlich zu einer der blühendsten Metropolen heran. Im Vergleich dazu waren Aachen, Köln oder Paris »Entwicklungsstädte«, vor allem was Hygiene, Krankenversorgung, Schulen oder Bibliotheken betraf. Der Analphabetismus war im mitteleuropäischen Raum weitaus stärker ausgeprägt als im arabischen. Die Große Moschee von Córdoba war Zeugnis einer Hochkultur, die auch nach Zentraleuropa ausstrahlte. Die Stadt, in der eine halbe Million Menschen lebten, war die Metropole der Muslime in Spanien und die größte in Europa überhaupt – mit 600 Moscheen, 300 Bädern, 50 Hospitalen. Sie verfügte schon im 10. Jahrhundert über Beleuchtung auf den Straßen. Von den Bergen aus versorgte Frischwasser die Bewohner. Die lateinischen Christen galten seinerzeit als derb und verroht. Doch gerade der Einfluss des Orients vermochte dies zu ändern. Der kulturelle Vorsprung des Morgenlands hat das Abendland befruchtet.
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Am Guadalquivir in Córdoba errichteten die Araber ein gewaltiges Schöpfrad, das den Palast des Kalifen mit Wasser versorgte.
Am Scheideweg – Konstantinopel
Gottfried von Bouillon führte sein
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