Der Heilige Krieg
kriegerischer Handlungen. Der aus Syrien stammende Politikwissenschaftler Bassam Tibi resümiert in diesem Zusammenhang, dass das aus dem Koran ableitbare Verständnis vom »Dschihad« zwar keine Doktrin des »Heiligen Krieges« darstelle. Doch hätten die Muslime »angesichts der Bedrohung durch die Christen in der historischen Praxis ihren Dschihad als ›Heiligen Krieg‹ – d. h. als angeblich
von Gott verordnet – geführt«. Tibi kommt zu dem Schluss: »Jeder Muslim, der diese historische Tatsache mit Hinweis auf den Text verleugnet, spricht sich selbst Redlichkeit ab.«
Bild 52
Die Umayyaden-Moschee in Damaskus zählt zu den ältesten und wichtigsten Gotteshäusern der Muslime.
Al-Sulami lag daran, seinen Zuhörern und Lesern begreiflich zu machen, dass der Angriff der Franken auch von Motiven ihres Glaubens getragen sei. So handle es sich nicht um einen klassischen Eroberungskrieg, vielmehr gleiche das Vorgehen dem Dschihad der Muslime – allerdings aus der Warte eines Feindes, der den Islam vernichten wolle. Der Rechtsgelehrte hatte Berichte von muslimischen Beobachtern und fränkischen Kriegsgefangenen gesammelt und die Aggression der Christen auf Merkmale eines Glaubenskriegs überprüft. Sein Fazit lautete: Ein geistlicher Führer hat den Kriegszug veranlasst. Kriegsziel ist die Verteidigung oder Verbreitung des eigenen Glaubens. Der Gegner (also die Muslime) gelte als Feind des eigenen, des rechten Glaubens. Die Kämpfer würden vor der Schlacht gesegnet und führten Zeichen der Anbetung (das Kreuz) mit sich. Sie beteten vor der Schlacht um den Beistand Gottes, und ihnen winke paradiesischer Lohn. Al-Sulami sah in der Aggression der Franken
ein Zeichen dafür, dass Allah die Seinen einer Prüfung unterziehe. Der Feind werde auch weiterhin alles daransetzen, den Islam, die wahre Hingabe zu Gott, zu bekämpfen. Er forderte seine Glaubensgenossen auf, zu tun, was den Franken offenbar schon gelungen war: nämlich den Zwist und die Habgier untereinander zu beenden und sich in einer gemeinsamen Anstrengung dem Feind zu stellen. Seine Schlussfolgerung lautete sinngemäß: Wir haben unsere Pflichten gegenüber Allah vernachlässigt, haben seine Gebote nicht befolgt, befinden uns in Zwietracht und haben heiligen Boden nicht verteidigt. Wir müssen uns zunächst im Innern überwinden, uns Allah gemeinsam unterwerfen, unsere Spaltung beenden, dann werden wir die Feinde bezwingen. In der Syrischen Nationalbibliothek in Damaskus finden sich die Fragmente jenes Manuskripts, welches al-Sulami verfasste: das Buch des Dschihad . Der Gelehrte verknüpfte darin den Appell an die innere Überwindung und Selbstfindung, also den »Großen« Dschihad mit dem »Kleinen«, den Islam nun gemeinsam gegen seine Gegner zu verteidigen.
Spirale der Gewalt
Bis die Gedanken al-Sulamis auf fruchtbaren Boden fielen, sollten noch einige Jahrzehnte vergehen. Dennoch blieb die neu errungene Herrschaft der Christen im Heiligen Land nie unangefochten, sie galt als Fremdkörper im islamischen Raum. So war es eine Frage der Zeit, bis der Widerstand der Muslime eine Wucht entfalten würde, die den Besatzern gefährlich werden konnte. Dabei spielte auch eine Rolle, dass viele Kreuzfahrer nach Beendigung ihrer »bewaffneten Wallfahrt« wieder nach Westeuropa zurückkehrten und nur wenige hundert Ritter in der Heiligen Stadt blieben. Doch rührte die Papstkirche immer wieder die Werbetrommel, um weitere bewaffnete Streiter in den Orient zu locken, damit sie dort – mit ihren Familien – ein Leben auf Christi Spuren führen konnten. So zählte Jerusalem bald 30 000 Einwohner, was in etwa der Größenordnung des zeitgenössischen Paris entsprach. Durch Handel entstand eine blühende Metropole. Zudem errichteten die Christen ein Geflecht von Befestigun-gen
im Heiligen Land, um ihr Territorium zu organisieren und zu sichern. Immer mehr Siedler gelangten so auch in die Grafschaft Edessa, in das Fürstentum Antiochia und die Grafschaft Tripolis. Es wuchsen Strukturen, die zur Konsolidierung der christlichen Herrschaft führten. Zudem bildeten sich mehrere Ritterorden wie die Johanniter, die sich zunächst um Kranke und Verletzte kümmerten, dann aber mehr und mehr militärische Aufgaben übernahmen. Sie errichteten mächtige Burgen: die gewaltigste steht in Syrien: Krak des Chevaliers.
Bild 53
Krak de Chevaliers, heute im Westen Syriens auf einem Ausläufer des Alawitengebirges gelegen, ist ein herausragendes Beispiel der
Weitere Kostenlose Bücher