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Der Heilige Krieg

Der Heilige Krieg

Titel: Der Heilige Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Knopp
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mit Rationalität und verbrecherischem Handeln, vom Blutrausch nach der Eroberung Jerusalems mit anschließender Prozession und Gottesdienst wirkt auf uns Heutige fremdartig.«
    Gisbert Gemein, Historiker und Pädagoge
    Die Ohnmacht der Besiegten
    Die Christenheit fühlte sich bestätigt, dass ihr Kreuzzug und die Rückeroberung des Heiligen Landes von Gott gewollt waren, dass er damit sein Urteil gesprochen habe. Groß war hingegen die Erbitterung auf islamischer Seite, vor allem angesichts der Grausamkeiten. Heiliger Boden, heilige Stätten gingen verloren, der Felsendom und die Al-Aqsa-Moschee. Doch noch immer waren die muslimischen Fürsten untereinander zerstritten, die Schwerpunkte ihres Machtkampfs lagen nicht in Palästina. Weiterhin beargwöhnten lokale Machthaber einander, bekämpften sich Fatimiden und Seldschuken. So konnte keine Koalition zustande kommen, die womöglich hätte verhindern können, dass sich die Eroberer in Vorderasien und in der Levante festsetzten. Zur Ohnmacht der Muslime trug auch ihre Spaltung im Glauben bei. Während die Sunniten in Aleppo und Damaskus herrschten, wurde Ägypten von den Schiiten regiert. Lange blieb unverstanden, was die »Franj«, die »Franken«, wie man die (Lateinisch sprechenden) Kreuzfahrer nannte, tatsächlich im Schilde führten. Sie galten als Barbaren und kulturell unterlegen. Viele Muslime glaubten, dass die christlichen Kämpfer in räuberischer Absicht gekommen seien, dass es ihnen um Land und Güter gehe. Allenfalls einige Gelehrte begriffen, worauf die »bewaffnete Pilgerfahrt« wirklich zielte. In Damaskus versuchte ein herausragender Denker, Ali ibn Tahir al-Sulami, die Lage zu deuten, sich ein genaueres Bild zu machen. Die wichtigste Informationsquelle des Rechtswissenschaftlers waren Besucher der Großen Moschee. Al-Sulami sammelte Berichte von Muslimen, die mit den Kreuzfahrern in Berührung gekommen waren. Es dauerte mehrere Jahre, bis er auf seine vielen Fragen Antworten gefunden hatte. In der Umayyaden-Moschee von Damaskus – zu vorislamischen Zeiten eine christliche Kathedrale –, unweit des Schreins, in dem sich das Haupt Johannes des Täufers befinden soll, nahm al-Sulami im Sommer 1106 Platz und begann vor einem aufmerksamen Publikum seine Gedanken darzulegen. Emsige Schreiber notierten die Texte, die der Geistliche über mehrere Wochen aus dem Gedächtnis vortrug, zu einem vollständigen Buch: dem Kitab al-Dschihad . Man könnte es angesichts der Bedrohung
durch die Christen als eine Art Anleitung zum »Heiligen Krieg« verstehen.
    Doch gilt es, in diesem Kontext die Wahl der Begriffe zu reflektieren – gerade auch im Vergleich zur theologischen Fundierung der Kreuzzüge. Die traditionelle, eng am Koran orientierte Auslegung lehnt die Definition »Dschihad« gleich »Heiliger Krieg« grundsätzlich ab. Dafür gibt es Gründe: Das Wort geht auf das Verb »dschahada« – »sich anstrengen« – zurück, gemeint ist die Anstrengung für Gott. Der sogenannte »Große Dschihad« bezieht sich auf die körperlichen und geistigen Bemühungen des Gläubigen, ein gottgefälliges Leben zu führen und in einem inneren Kampf die eigenen Schwächen zu überwinden. Der »Kleine Dschihad« bezeichnet äußere Anstrengungen, um Allah gerecht zu werden; dazu zählen die Wahrung und Verteidigung des Glaubens als gemeinschaftliche Pflicht, die der Koran als notwendig und verdienstvoll anerkennt. Ähnlich wie beim »gerechten Krieg« im Christentum wird auch hier der Kampf gegen jene Menschen und Mächte für zulässig erklärt, die den Frieden stören. Dies jedoch »heilig« zu nennen, geht eher auf moderne, oft auch willkürliche Interpretationen zurück und nicht auf klassische Deutungen des Koran. Während der Kreuzzug des Christentums im Hochmittelalter mitunter sogar wörtlich zum »Heiligen« oder »Heiligenden Krieg«, zum »bellum sacrum«, erklärt wurde und der Papst als höchste Autorität den Christen zurief: »Gott will es!«, gibt es im Islam keine wörtliche Entsprechung. Der Dschihad ist aber im Koran und somit in einer göttlichen Offenbarung grundgelegt. Geistliche Führer oder Herrscher der Muslime vermögen allenfalls an den Gläubigen zu appellieren, da der Dschihad als persönliche Anstrengung in erster Linie auf der individuellen Entscheidung des Einzelnen beruht.
    Im Ergebnis aber können sowohl der »Dschihad« der Muslime als auch die geheiligten Kriege der Christenheit zum gleichen Ergebnis führen, eben zur Sakralisierung

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