Der Heilige Krieg
der 17 Millionen Menschenleben gekostet hatte, war zu Ende. Der Unabhängigkeitswille der Araber hatte sich als stärker erwiesen als ihre Bereitschaft, in einen Heiligen Krieg zu ziehen.
Geplatzte Träume
Warum war Oppenheims Strategie der »Revolutionierung« der gegnerischen Kolonien so kläglich gescheitert? Die Deutschen hatten während des Ersten Weltkriegs ähnliche Pläne auch außerhalb der islamischen Welt verfolgt. Sie unterstützten die irischen Nationalisten in ihrem Freiheitskampf gegen England, und sie versorgten Lenins bolschewistische Bewegung mit Geld, Waffen und Logistik. Im Falle Russlands ging die deutsche Taktik auf: Die kommunistische Revolution siegte, und die neuen Machthaber im Kreml schlossen einen Waffenstillstand mit dem Deutschen Reich. Das gestattete der Obersten Heeresleitung, Armeen von der Ostfront nach Westen zu verlegen. Durch den Kriegseintritt der USA wirkte sich dieser Vorteil allerdings nicht mehr kriegsentscheidend aus.
In der islamischen Welt war das Konzept nicht aufgegangen. Gewiss, an verwegenen Einzelaktionen hatte es nicht gefehlt: Haudegen wie Wilhelm Wassmuss verwickelten die Gegner in Guerillakämpfe; deutsche U-Boote versorgten die aufständische Senussi-Bruderschaft in Libyen in ihrem Kampf gegen Italiener und Briten mit Waffen; in Nordafrika, Afghanistan, dem Kaukasus und in Indien agitierten deutsche Spione und verübten gemeinsam mit lokalen Unabhängigkeitsbewegungen Sabotageakte. Auch an dem Versuch, den Sueskanal durch die Versenkung eines Handelsschiffs zu blockieren, fehlte es nicht, wie ebenfalls nicht von der Hand zu weisen ist, dass die deutschen Unternehmungen in London für große Unruhe sorgten und die Briten zu einer Reihe von Gegenmaßnahmen veranlassten. Aber alle Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet, der große Aufstand fand nicht statt.
Schon damals trübte bei Deutschen wie auch anderen Europäern ein Vorurteil den Blick auf die muslimische Welt – ein Vorurteil, das noch immer verbreitet ist. Viele Menschen im Westen halten die islamische Welt für einen homogenen Block und übersehen dabei, dass zwischen Marokko und Indonesien, zwischen Innerasien und Zentralafrika nicht nur weite Räume liegen, sondern auch Welten der Mentalität, Tradition und Geschichte. Islam ist nicht gleich Islam. Nicht nur hat er sich im Lauf der Geschichte in viele unterschiedliche Glaubensrichtungen und -gemeinschaften aufgespalten, die sich meist misstrauisch oder sogar feindselig gegenüberstehen – auch nationale und ethnische Elemente wirken und wirkten schon damals als trennende Faktoren. Der Aufstand der muslimischen Araber gegen die ihre türkischen Glaubensbrüder war das deutlichste Beispiel dafür.
Mit der Beschwörung des islamischen »Fanatismus«, der – stets im Verborgenen schwelend – nur der Initialzündung bedürfe, um in einen unkontrollierbaren Flächenbrand auszuarten, saßen die Berliner Dschihad-Strategen einem ebenso weit verbreiteten Klischee auf. Auch wenn der Heilige Krieg in der islamischen Welt eine Tradition besitzt, so bedurfte es doch charismatischer Anführer wie des Mahdi, um ihn zu entfesseln. Solche Leitfiguren waren aber nicht beliebig reproduzierbar. Der türkische Sultan jedenfalls vermochte nicht, wie die Deutschen gehofft hatten, in diese Rolle zu schlüpfen.
In seiner Denkschrift hatte Oppenheim auch keinen Zweifel daran gelassen, was er als Grundvoraussetzung für eine »Revolutionierung« der feindlichen Kolonien ansah: einen Erfolg deutsch-türkischer Militäroperationen. Nur ein deutlicher Beweis dafür, dass den Briten eine Niederlage drohte, würde eine sich abwartend verhaltende Bevölkerung wie etwa die Ägyptens dazu bringen, sich gegen die Kolonialmacht zu erheben. Da sich aber im Gegenteil das Kriegsglück im Nahen Osten ab 1916 immer eindeutiger den Engländern zuwandte, war diese Bedingung nicht erfüllt. Nicht blinder Fanatismus, sondern wohlüberlegtes, politisches Kalkül gab am Ende auch bei den islamischen Führern den Ausschlag.
Aber nicht nur die Deutschen mussten sich eingestehen, dass sie sich verkalkuliert hatten.
Als sich nach dem Krieg Sieger und Besiegte in Paris einfanden, umeine neue Weltordnung zu verhandeln, stand auch die Zukunft des Nahen Ostens auf der Agenda. Die arabischen Vertreter reisten mit großen Erwartungen an. Doch bei der Versailler Friedenskonferenz waren die einst aus der Notlage gemachten Zusagen vergessen.
Alois Musil – ein Priester als Spion
Der 1868 im
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