Der Heilige Krieg
Israelis, verbunden mit der für sie beglückenden Wiederkehr an die Klagemauer, wurde für die Araber zu einer Demütigung – militärisch geschlagen, hatten sie nun auch noch die Kontrolle über den geheiligten Tempelberg verloren. Die Niederlage hatte den arabischen Nationalismus als Erfolgsmodell infrage gestellt und religiösen Kritikern Auftrieb gegeben – der Islam sei als einigende Idee für die Araber geeigneter, befanden sie. Israel blieb jedoch der Feind. Nach dessen Sieg und der Eroberung von vormals jordanisch verwaltetem Land lebten plötzlich drei Millionen Palästinenser unter israelischer Besatzung.
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Israelische Soldaten an der Klagemauer in Jerusalem.
Azzam hatte 1966 sein Theologiestudium in Damaskus abgeschlossen. Das hinderte ihn nicht daran, 1967 im Sechstagekrieg aktiv gegen die Israelis zu kämpfen. Danach ging er nach Kairo, studierte an der berühmten Al-Ahzar-Universität und schloss 1973 mit einem Doktorgrad in islamischem Recht ab. Anschließend lehrte er in Jordanien. Dort geriet er in Konflikt mit den eher weltlichen Ansichten, die an der Universität von Amman vorherrschten. 1979 ging er nach Saudi-Arabien an die Universität Dschidda – und traf dort auf Studenten wie Osama bin Laden. Der war zwar tiefgläubig, aber beileibe kein geborener Anführer oder gar ein origineller religiöser Vordenker. Umso begeisterter lauschte er Azzams Ausführungen zum Dschihad. Und er wollte das, was er hörte, in die Tat umsetzen.
Heiliger Krieg gegen die Sowjets
Am 27. Dezember 1979 besetzten sowjetische Truppen blitzartig den bis dahin blockfreien Nachbarstaat Afghanistan. Zuvor waren Fallschirmjäger an wichtigen Punkten des Landes abgesetzt worden, Großraumtransporter mit Panzern landeten auf den schnell eroberten Flugplätzen. Bald hatten 50 000 Mann den instabilen Nachbarstaat fest in ihrem Würgegriff – das herrschende Regime wurde abgesetzt, die Sowjetarmee brachte einen neuen kommunistischen Staatschef mit nach Kabul und setzte ihn als Marionette ein. Diese Nachricht schockierte nicht nur den Westen, der im Kalten Krieg mit der Sowjetunion weltweit um strategische und politische Vorherrschaft rang. Auch die islamische Welt war entsetzt. Besonders Männer vom Schlage eines Abdallah Azzam fühlten, dass ihre Stunde gekommen war. Der Religionsgelehrte, der in seinen Schriften zur »Verteidigung muslimischen Bodens« aufrief, wurde nun aktiv. 1980 wechselte er zur Internationalen Islamischen Universität ins pakistanische Islamabad – dort, im Nachbarland Afghanistans, war er dem Schlachtfeld des künftigen Dschihad ein gewaltiges Stück näher gekommen. In Pakistan begann er nun, internationale Hilfe für die Widerstandskämpfer in Afghanistan zu organisieren. Die Mudschaheddin, die afghanischen Gotteskrieger, die im Kampf gegen die »ungläubigen« Sowjets standen, sollten wissen, dass sie nicht allein waren. Besonders die reichen und strenggläubigen Saudis brachten viel Geld auf, um den Krieg gegen die Sowjets zu unterstützen. Einer dieser Saudis war der tiefreligiöse Spross des Bin-Laden-Clans, der 23-jährige Osama. Er hatte sein Studium in Dschidda ein Jahr vor dem Examen abgebrochen – bot sich doch in Afghanistan eine gewaltige Chance: Hier konnte man sich im Dschihad Verdienste erwerben. Osama bin Laden hatte seine Bestimmung gefunden. Begeistert stellte er sich an die Seite seines Mentors und geistigen Ziehvaters Abdallah Azzam. Im pakistanischen Peschawar, unweit der Grenze zu Afghanistan, bauten die beiden ein Koordinationsbüro auf. Bin Laden lernte dort wichtige Anführer des afghanischen Widerstands kennen – und er pendelte zwischen Afghanistan und Saudi-Arabien, wo er Gelder für den Kampf sammelte. Hunderte von Millionen Dollar flossen an die Mudschaheddin – und Bin Laden erwarb sich einen exzellenten Ruf als Kämpfer für eine gute Sache. Er war nun ein Mann mit einer Mission.
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Ende 1979 besetzen sowjetische Truppen Afghanistan – im Kalten Krieg geht es um die strategische Vorherrschaft auch in Asien.
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Mit primitiven Waffen wehren sich von Anfang an islamische »Gotteskrieger« gegen die sowjetischen Invasoren.
»Wir sollten fortan nie wieder zu einem normalen Leben zurückkehren. Von nun an war er öfter in Afghanistan als in Saudi-Arabien«, erinnert sich Osama bin Ladens erste Ehefrau Najwa. Sie erwartete 1981 ein weiteres Kind – drei Söhne hatte sie ihm schon geboren. Einer von
ihnen war Omar, der 2009 gemeinsam mit
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