Der heilige Schein
einem stark negativen Menschenbild speist. Der energische Kampf der konservativen Theologen für die traditionelle Lehre von der Erbsünde sowie deren Sympathien für den Pessimisten Blaise Pascal finden hier ihr praktisches Pendant. Oder, um es mit den Worten eines der in Zaitzkofen lehrenden Patres zu sagen: »Wenn wir die Erbsünde fallen lassen oder uminterpretieren, bricht alles zusammen! «
Mit der Zeit erkannte ich, dass meine Rahnerkritik diesen Kreisen gerade deshalb gelegen kam, weil der Jesuit einer der bedeutendsten neueren Theologen war, der es auf Basis der modernen Bibelinterpretation gewagt hatte, an der traditionalistischen Vorstellung von der Erbsünde zu rühren und ein positives, zukunftsoffenes Menschenbild im katholischen Geist zu entwerfen.
Die Abhängigkeit der Priesteranwärter von ihrer ausbildenden Institution wird in Zaitzkofen weiter gefördert durch ein mangelhaftes, daher staatlich nicht anerkanntes Studium sowie durch das verordnete Fehlen zentraler Schlüsselqualifikationen wie Medienkompetenz, die im heutigen Berufsalltag unverzichtbar sind.
Die andauernde Beschäftigung der Seminaristen, die den Müßiggang als aller Laster Anfang verhindern soll, bedeutet zugleich permanente soziale Kontrolle und gegenseitige Überwachung. Dass die Muße dem Menschen innere Freiheit schenkt, wie der katholische Philosoph Josef Pieper schrieb, war den Konstrukteuren dieser Ausbildung sicher nicht unbekannt. Anfangs zunächst noch als mehr oder weniger unangenehm empfunden, wird die andauernde Kontrolle durch Vorgesetzte Priester schnell internalisiert, und zwar so sehr; dass die Seminaristen sich auch dann kontrolliert fühlen, wenn gar keiner da ist, der sie kontrolliert.
Soziale Kontrolle prägt im Übrigen auch den Alltag der zahlenmäßig sehr kleinen und daher gut überschaubaren Gemeinschaften traditionalistischer Gläubiger, wie ich immer wieder erleben musste: War der hochwürdige Pater gestern Abend gar nicht zu Hause? Wer war letzten Sonntag nicht in der Messe, wer nicht an der Kommunionbank? Warum hat das bereits vor fünf Jahren vermählte Ehepaar erst zwei Kinder? Warum ist der vierundzwanzig jährige Mann noch nicht verheiratet? Das sind die Fragen, die man vor und nach den traditionalistischen Gottesdiensten, inzwischen auch in eigenen, von traditionsorientierten Katholiken betriebenen Internetforen wie kathnews.de oder kreuzgang.de mit großer Hingabe unter Laien diskutiert.
Die Isolation, in der die gesamte Priesterausbildung bei den Piusbrüdern stattfindet, führt auch zu einer ausgeprägten Weltfremdheit. Wie wird ein solcher Priester, der mindestens sechs Jahre lang nur Nonnen und andere Kleriker um sich hatte, eine Ehefrau beraten, die ihm in der Beichte erzählt, dass sie von ihrem Mann regelmäßig vergewaltigt wird? Was wird er einem Jugendlichen sagen, der im Prozess seiner sexuellen Selbstfindung zu ihm kommt und ihm von einer eventuellen homosexuellen Veranlagung erzählt? Oder viel harmloser, aber für die Betroffenen keineswegs belanglos: Was wird er dem ihn um Hilfe ersuchenden Vater raten, dessen Sohn auf die Schule kommt und zur Erledigung der Hausaufgaben einen PC braucht?
Nach mindestens sechs Jahren rigoroser Abschottung von der Gesellschaft, von den meinungsführenden Medien und allen anderen Orten, an denen Kommunikation stattfindet, werden diese jungen Männer in einen Beruf entlassen, bei dem Kommunikationsfähigkeit und Einfühlungsvermögen die Schlüssel zum Erfolg sind.
Dass derart ausgebildete Priester keine großen Schwierigkeiten machen werden, wenn sie alle möglichen weltanschaulichen Abstrusitäten vertreten sollen, leuchtet ein. Dazu gehören etwa die Ablehnung der Menschenrechte, insbesondere der Religionsfreiheit und der Gleichberechtigung der Frau, die Forderung nach Wiedereinführung der Monarchie, der Antijudaismus oder die Verteidigung totalitärer Systeme und Parteien.
Eine solche Art von Ausbildung und späterer Seelsorge zieht natürlich auch eine bestimmte Art von Menschen an. Immer wieder habe ich in Gesprächen mit Priesteramtskandidaten oder durch einfache Beobachtung feststellen müssen, dass die Alumnen in traditionalistischen Seminaren häufig psychische Defizite aufweisen. Die meisten von ihnen kommen entweder aus überautoritären, dem fundamentalistischen Katholizismus verpflichteten oder aus extrem antiautoritären, nicht selten atheistischen Elternhäusern oder Internaten. Die Vertreter beider Gruppen erweisen sich oft
Weitere Kostenlose Bücher