Der heilige Schein
mitbekam.
Die jungen Leute, die ich unterrichtete, waren immer sehr zuvorkommend und höflich und machten einen relativ »normalen« Eindruck auf mich. Aber auch sie hatten das Problem, dass ihnen für ein einigermaßen angemessenes Studium viel zu wenig Zeit blieb, weil sie mit allen möglichen studienfremden Aufgaben wie Putzen und Kochen oder mit Gottesdiensten betraut wurden. Diese Überlastung führte bei einigen Priesteramtsanwärtern zu psychosomatischen Problemen, über die sie regelmäßig in privaten Gesprächen klagten. Einer meiner Hörer war von den kurzen Nachtruhezeiten so übermüdet, dass er während meiner Vorlesungen permanent einschlief. Ich versuchte, die jungen Männer zu unterstützen, indem ich sie ab und zu von den Vorlesungen entband und den Begabteren unter ihnen riet, die Gemeinschaft zu verlassen, um an einer Universität ein Theologiestudium aufzunehmen, was einige auch taten.
Die Bibliothek war nur unzureichend mit wissenschaftlicher Literatur bestückt; die meisten Bücher, die dort standen, waren Pfadfinderliteratur aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es gab aber auch Bücher aus der rechtsextremen Ecke, wie etwa Rolf Kosieks Die Frankfurter Schule und ihre zersetzenden Wirkungen. Der Gebrauch des Internets war nur nach vorheriger Absprache mit dem Pater General, Andreas Hönisch, erlaubt. Fernsehen war tabu, eine Tageszeitung habe ich dort nie gesehen. Kontakte zur Außenwelt gab es nur in gemeinschaftlicher Form, wenn die Seminaristen mit Pfadfindergruppen auf Tagungen traditionalistischer Gruppierungen fuhren, um dort das eine oder andere Lied in fescher Uniform vorzusingen. Wie in anderen traditionalistischen Institutionen, die ich bereits kennengelernt hatte, war man peinlich darum bemüht, unter sich zu bleiben.
Auch hier herrschte ein verkrampft-aggressiver Umgang mit den Reizthemen Frauen und Homosexuelle. So erwähnte ich etwa in einer meiner Vorlesungen, in den Schriften des heiligen Thomas gebe es auch Zeitbedingtes, das heute obsolet geworden sei, wie zum Beispiel die Verbrennung von Frauen, die man für Hexen hielt, und die Todesstrafe für Homosexuelle. Woraufhin einer der Hörer in den Raum rief: »Ja, leider!«, und seine Kommilitonen zustimmend lachten. Ich hätte an diesem Punkt gerne widersprochen, fürchtete aber, meine eigene Homosexualität könne dadurch bekannt werden, also schwieg ich.
An den langen Abenden in meinem Zimmer, ohne Fernseher, Zeitung und Internetzugang, aber ausgestattet mit einer Kommode voller Alkoholika, fragte ich mich des Öfteren, ob diese Studenten, die mir gegenüber eine große Höflichkeit an den Tag legten, wohl Probleme hätten, einen Scheiterhaufen für mich im Hof zu errichten, wenn ich offen über meine Homosexualität mit ihnen reden würde. Zur Sicherheit telefonierte ich von da an nur noch über das Mobiltelefon mit meinem Freund, und nur außerhalb des Schlosses, in dem das Kloster untergebracht war.
Wenn ich Pater Hönisch in seiner Eigenschaft als Ordensgeneral und Hausoberen auf die genannten Probleme in der Ausbildung der jungen Seminaristen ansprach, blieb er stets freundlich, zeigte aber keinerlei Verständnis für meine Bedenken. Er brauche keine »Warmduscher« in seiner Gemeinschaft, sagte er, sondern Priester, die nicht nur fromm, sondern im Kampf für die katholische Sache und die Ordensaufgabe »zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl« seien. Außerdem habe man es eilig, die Kandidaten Bischof Krenn möglichst rasch zu den Weihen vorzustellen, da viele Ordinationen in einer Diözese oder Ordensgemeinschaft von Rom stets als ein Zeichen für das Blühen dieser Institutionen verstanden würden. Die Eile in der Ausbildung führte bei den »Dienern Jesu und Mariens« dazu, dass - wie mir ein Professor erzählte, der einige Zeit in St. Pölten gelehrt hatte - Alumnen zu den höheren Weihen zugelassen wurden, die nicht mehr als zwei Semester Dogmatik gehört hatten. Auf das ohnehin nicht sehr hohe intellektuelle Niveau im traditionalistischen Milieu wirken solche Entscheidungen auf fatale Weise stabilisierend.
Aggressiver Kampf gegen den »Antichrist«
Genau in die Zeit meines ersten Vorlesungsaufenthaltes im Studienhaus der SJM fielen die Vorgänge um das in Heilbronn zur europäischen Erstaufführung vorgesehene Theaterstück Corpus Christi von Terrence McNally . Dass in dem bewusst provokativen Stück Jesus und die Apostel als trinkfreudige Homosexuelle dargestellt werden, reizte die konservativen
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