Der heilige Schein
sei noch ein Ereignis erwähnt, das mir deutlich machte, dass wir - so unterschiedlich sich unser Auftreten und Privatleben gestalteten - gleichsam aus ähnlichem Holz geschnitzt waren. Zur Feier der Jahrbuchidee hatte mich Schmitz zum Abendessen eingeladen. Wir waren mitten im tiefsten Westerwald, so dass ein Restaurant, das dem Anlass angemessen gewesen wäre und in dem sich der feine Geistliche zu Hause gefühlt hätte, praktisch nicht erreichbar war und wir mit einer Dorfkneipe vorliebnehmen mussten.
Der Päpstliche Ehrenprälat hatte sich nach allen Regeln kirchlicher Kleidungskunst in Schale geworfen, und als wir die Gastwirtschaft betraten, legte er nach seinem feierlichen Einzug, bei dem er den wenigen, perplex dreinschauenden Gästen zur Begrüßung huldvoll zugewinkt hatte, den weiten schwarzen Mantel, den er über der Soutane trug, ab. Er ließ sich mit einem leisen Stöhnen auf einem Stuhl nieder, streifte mit großer Geste die schwarzen Lederhandschuhe von seinen schmalen Händen, um dann mit theatralisch erhobener Hand und in einer Weise, als würde er »Der Herr sei mit euch« singen, mit seiner hohen, lauten Stimme durch den ganzen Gastraum zu rufen: »Herr Ober, die Karte bitte!«
Dem Publikum, das diese Aufführung zu sehen bekam, fehlte es aber an Gespür für solches Aroma der Heiligkeit. In unserer Nähe saßen schon etwas angetrunkene Landjugendliche, von denen sich einer daraufhin die Bemerkung nicht verkneifen konnte: »Was ist denn das für ’ne Tunte?« Die anderen lachten, ich nahm an, dass der Ausspruch nicht mir gegolten hatte, und Schmitz ignorierte die Bemerkung.
Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Ich fand die Bemerkung niveaulos - und unberechtigt sowieso. Andererseits war Schmitz keineswegs der einzige Kleriker, den ich während meiner mehr als zehn Jahre währenden Tätigkeit im Dienste der katholischen Kirche kennenlernte, dessen Verhalten geeignet war, bei schlichteren Gemütern solche oder ähnliche Äußerungen zu provozieren.
Polnische Freundschaften
Ein weiterer wichtiger Schritt bei meinem thomistischen Engagement war die Gründung der Deutschen Thomas-Gesellschaft im Jahr 2003. Die Anregung dazu kam von Freunden aus Barcelona und Pamplona, die dort in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Universitäten spanischsprachige Sektionen einer durch den Vatikan und den Dominikanerorden geförderten internationalen Thomas-Gesellschaft gegründet hatten.
Schnell konnte ich für die Idee den bereits erwähnten Dominikanerpater gewinnen, mit dem ich seit meiner Studienzeit befreundet war und der meinen Partner und mich später nach Rom begleitete, um die Geschichte der Gründung der Gesellschaft auf dem Thomas-Kongress vorzustellen. Inzwischen war er zum Prior des Berliner Konvents gewählt und von Kardinal Sterzinski zum Akademikerseelsorger der Erzdiözese Berlin ernannt worden. So ergab es sich, dass er dort einige Interessenten für die Gründung der Thomas-Gesellschaft rekrutieren konnte und wir uns an den Karnevalstagen 2003 im Konvent St. Paulus zusammenfanden, um die Deutsche Thomas-Gesellschaft zu gründen. Den Vorsitz der Gesellschaft, die in den Folgejahren einige größere, auch international angelegte wissenschaftliche Projekte verwirklichen konnte, übernahmen der befreundete Pater und ich. Nachdem Schmitz in die USA gegangen war und am thomistischen Jahrbuch kein großes Interesse mehr hatte, wurde dieses zum offiziellen Publikationsorgan der Thomas-Gesellschaft. Mit der Gestaltung und Betreuung der Internetseite sowie der Erstellung der Entwürfe für Werbeflyer und dergleichen wurde mein Partner, ebenfalls Gründungsmitglied der Gesellschaft, betraut. Sein Interesse an Thomas hielt sich in Grenzen, aber er übernahm diese ehrenamtliche Aufgabe mir zuliebe und aus Sympathie für den mit uns befreundeten Dominikanerpater.
Eine weitere Begegnung der frühen Jahre wirkte sich später auf meine wissenschaftliche Karriere positiv aus. Bei meinem ersten Besuch der Gustav-Siewerth-Akademie im Jahr 1998 hatte ich dort einen polnischen Priester kennengelernt, der damals Aussichten hatte, von Alma von Stockhausen zu ihrem Nachfolger an der Akademie aufgebaut zu werden. Wie der befreundete Dominikanerpater war auch er knapp zehn Jahre älter als ich, und auch wir verstanden uns auf Anhieb gut und blieben in Kontakt. Nach kaum durchschaubaren Streitigkeiten mit Alma von Stockhausen - er hatte sich unter anderem erlaubt, auf juristische Unregelmäßigkeiten im
Weitere Kostenlose Bücher