Der heilige Schein
aufrechterhalten.
Die enormen Liebesbemühungen des Vatikans um die Protagonisten dieses Spektrums werden in der Öffentlichkeit immer mit dem bedeutenden quantitativen Anteil der konservativen Katholiken an der Gesamtkirche begründet. Dass zu repräsentativen Gottesdiensten und Kundgebungen der Traditionalistenbewegung deren Anhänger auf Kosten finanzkräftiger Spender aus ganz Europa zusammengekarrt werden, dass die Leser der verschiedensten traditionellen Zeitschriften sich aus »Solidaritätsgründen« oft alle theologisch konservativen Organe zuschicken lassen, ohne sie wirklich zu lesen, dass die Zahl der Autoren künstlich erhöht wird, indem diese unter mehreren Namen, teilweise auch unter Angabe nicht immer ganz einwandfrei erworbener, aber pompös klingender akademischer und kirchlicher Titel publizieren - all das wird weitgehend verschwiegen. So wird der Schein einer auch zahlenmäßig gewichtigen erzkonservativ-katholischen Front erweckt.
Und das mit Erfolg. Der kolumbianische Kardinal Hoyos argumentierte im Vorfeld der Aufhebung der Exkommunikation der Piusbruderschaftsbischöfe damit, diese hätten schließlich eine Anhängerschaft von etwa 600000 äußerst engagierten Gläubigen. Seriöse Untersuchungen ergaben dann allerdings, dass die wirklich praktizierende Anhängerschaft der Bruderschaft nur aus etwa 150000 Gläubigen besteht, was einem Anteil von weniger als 0,01 Prozent aller Katholiken entspricht!
Nach dem Tod Professor Bökmanns , den ich als frustrierten und von der Abneigung gegen jegliche Öffnung von Kirche und Gesellschaft zur Moderne getriebenen alten Mann erlebt hatte, übernahm der Kölner Monsignore Ulrich-Paul Lange kurz vor der Jahrtausendwende die Herausgeberschaft der Zeitschrift. Bei Lange paarte sich eine naive Unsicherheit im Umgang mit Menschen und wissenschaftlichen Inhalten einerseits mit einem ausgeprägten Starrsinn andererseits. Dass der Prälat dennoch dieses Amt übernehmen konnte, ist symptomatisch für die katastrophale Personalpolitik der katholischen Kirche: Fehlende wissenschaftliche und menschliche Kompetenz wird ausgeblendet, und man schaut nur darauf, dass der Betreffende kirchenpolitisch der Richtige ist, also in der erzkonservativen Ecke steht. Diese auch bei der Besetzung hoher Kirchenposten übliche Vorgehensweise führt zu jener Situation, die Heinz-Joachim Fischer am 29. Januar 2009 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung treffend beschrieben hat: »Oft sind unter Traditionalisten und in rechtskonservativen Bewegungen Frömmigkeit und religiöser Eifer höher als das theologische Niveau ihrer Führer.«
Wieder die Feigenblatt-Strategie
Unter Monsignore Lange sank das Niveau der Zeitschrift Theologisches innerhalb kürzester Zeit auf einen jämmerlichen intellektuellen Pegel, der selbst bei progressiv denkenden Theologen Mitleid auslöste. Über viele Spalten hinweg wurden gehässige und meist völlig abstrus argumentierende Leserbriefe publiziert. In Ermangelung ernstzunehmender Beiträge druckte Lange eigene Texte, die bereits vor Jahrzehnten zum ersten Mal erschienen waren, oder Neueres, was er als Leserbrief oder Kommentar in anderen extrem konservativen Blättern gefunden hatte. »Da steht nur noch Schmarrn drin«, brachte es mir gegenüber einmal ein hoher Augsburger Würdenträger auf den Punkt.
Nach einigen Jahren musste sich dies auch die Fördergemeinschaft eingestehen, und sie beschloss daraufhin, Lange irgendwie loszuwerden. Natürlich wollte man als Nachfolger unbedingt jemanden haben, der aus dem »Netzwerk« stammte, er sollte aber zugleich menschlich leichter handhabbar sein als der eigensinnige, über siebzig Jahre alte Monsignore.
So folgten im Jahr 2003 mehrere ausführliche Gespräche Kardinal Scheffczyks und des Philosophen Walter Hoeres mit mir. Sie drängten mich geradezu, als Langes Nachfolger bereitzustehen. Beiden hatte ich beruflich viel zu verdanken. Die Autorität des Kardinals sowie das energische Auftreten von Hoeres brachten mich schließlich dazu, mir die Sache zu überlegen und schon halb zuzusagen.
Nun hatte der genannte Priester den Auftrag, meine endgültige Zustimmung persönlich einzuholen. Bewusst hatte ich für unser Treffen keinen neutralen Ort vorgeschlagen, sondern ihn in meine Kölner Wohnung eingeladen, in der ich mit meinem Partner zusammenlebte. Nicht nur anhand des Klingelschildes war offensichtlich, dass hier keine traditionelle katholische Familie, bestehend aus Mann, Frau und acht zum Erhalt der
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