Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)
sehen. Hier, trink noch einen Schluck, dann bringe ich dich hin.«
»Lassen wir den Drink«, sagte Carpenter. »Wie wär's denn, wenn du mir einfach sagen würdest, was auf diesem Schiff los war?«
»Erst komm mit, Kommandoraum ansehen«, sagte Kovalcik.
Der Kommandoraum lag ein Deck tiefer als die Kapitänskajüte. Und hier herrschte das absolute Chaos.
Der Raum war fast ausgebrannt. Auf allen Flächen waren Lasernarben und klaffende Wunden in der Deckenverschalung. Aus den Datenschränken hingen schimmernde Elektrodenbündel wie zerrissene Halsketten, wie hervorquellende Gedärme. Überall Anzeichen von einem furchtbaren Kampf, einem monströsen wahnsinnigen internen Krieg, der in den empfindlichsten Bereichen der Denkzentrale des Schiffs getobt haben musste.
»Es ist alles kaputt«, sagte Kovalcik. »Nichts läuft mehr, außer dem Kalmarverarbeitungsprogramm, und ihr habt ja gesehen, dass die großartig funktionieren. Sie machen immer weiter, die Netze, die Seziermesser, Shredder und so. Aber sonst ist alles beschädigt. Unser Wassersynthesizer, die Ventilatoren, die Navigationsinstrumente und noch vieles mehr. Wir führen Reparaturen durch, aber es geht sehr langsam.«
»Das denke ich mir. Ihr habt hier wohl eine verdammt turbulente Party gefeiert, was?«
»Es gab einen Kampf. Von Deck zu Deck, von Kabine zu Kabine. Es erwies sich als nötig, Captain Kohlberg in Gewahrsam zu nehmen, und er und einige der anderen Offiziere widersetzten sich.«
Carpenter blinzelte und hielt den Atem an.
»Verdammt, was sagst du da? Dass ihr hier an Bord eine Meuterei hattet?«
Eine Sekunde lang hing das schwerbelastete Wort zwischen ihnen wie ein wirbelndes Schwert.
Dann sagte Kovalcik mit der gewohnten ausdruckslosen Stimme: »Als wir eine Weile auf See waren, begann er sich zu betragen wie ein Verrückter. Die Hitze machte ihm zu schaffen, die Sonne, vielleicht die Luft. Er verlangte unmögliche Sachen. Er wollte auf keine Vernunftgründe mehr hören. Also musste er von seinem Kommando abgelöst werden, um die Sicherheit aller zu gewährleisten. Es gab ein Meeting, und er wurde festgesetzt. Einige seiner Offiziere erhoben Einwände, und so mussten auch sie festgesetzt werden.«
Verdammte Scheiße, dachte Carpenter. Ihm war ein wenig übel. In was bin ich da reingelatscht!
»Für mich klingt das ganz nach Meuterei«, sagte nun Rennett.
Carpenter verwies sie mit einem Blick zum Schweigen. Kovalcik begann sichtlich die Haare zu sträuben, und es war nicht abzusehen, wann ihre eisige Starre sich in einen vulkanischen Wutausbruch verwandeln konnte. Zweifellos war sie extrem gefährlich, wenn es ihr gelungen war, ihren Captain und die meisten Mitoffiziere gefangen zu setzen. Eine Meuterei war auch heutzutage noch eine ernste Sache. Der Fall erforderte Fingerspitzengefühl.
Er fragte Kovalcik: »Sie leben aber noch, der Kapitän, die Offiziere?«
»Ja. Ich kann sie dir vorführen.«
»Das wäre vielleicht eine gute Idee. Aber erst solltest du mir vielleicht etwas ausführlicher über die Beschwerden berichten, die ihr hattet.«
»Das spielt doch jetzt keine Rolle, oder?«
»Für mich schon. Ich muss wissen, womit du die Absetzung eines Kapitäns rechtfertigst.«
Sie schaute etwas ärgerlich drein. »Es waren viele Dinge, manche bedeutend, manche geringfügig. Arbeitspläne, Teamzuteilung, die Proviantierung. Alles wurde von Woche zu Woche schlimmer für uns. Wie ein Tyrann, so war der. Ein Cäsar. Anfangs nicht, aber nach und nach die Verwandlung bei ihm. Es war eine Sonnenvergiftung, was der hatte, der Wahnsinn, der von zu großer Erhitzung des Gehirns kommt. Er fürchtete sich davor, zuviel Screen zu verwenden, verstehst du, hatte Angst, wir würden am Ende der Fahrt nichts mehr davon übrig haben, also ließ er das ganz strikt rationieren, nicht bloß für uns, auch für sich selber. Und das war eins von unseren größten Problemen, der Screen.« Kovalcik berührte sich an den Wangen, den Armen und Handgelenken, wo die Haut rot und wund war. »Siehst du, wie ich aussehe? So sind wir alle. Kohlberg setzte uns auf die halbe Dosis, dann kürzte er sie noch mal um die Hälfte. Die Sonne fing an uns zu zerfressen. Das Ozon. Wie Rasierklingen vom Himmel herunter. Wir waren ungeschützt, verstehst du? Er hatte so große Angst, dass später kein Screen mehr übrig wird sein, dass er uns nur an jedem Tag ganz wenig gibt, und wir litten, und er litt auch, und er wurde immer verrückter, wie die Sonne auf ihn wirkte, und
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