Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)
und holen uns einen neuen? Und jeder Berg bedeutete Wasser, das andere Leute nicht kriegten.
Die Platzwunde an seinem Fingerknöchel brannte von dem Schlag, den er Hitchcock verpasst hatte, und er rieb sie beiläufig, als wäre es die Hand eines Fremden. Nach Osten denken!, befahl er sich. Du schleppst zweitausend Kilotonnen vor Millionen Jahren gefrorenen Wassers für das durstige San Francisco. Denk positiv! Denk an deine Gratifikation. An deine kommende Beförderung. Es lohnt nicht zurückzuschauen. Wenn du nach hinten schaust, bekommst du davon bloß Augenschmerzen.
Kapitel 19
Als Enron in sein Hotel zurückkehrte, am späten Nachmittag in Valparaiso Nuevo, war alles aufgeräumt, das Bett frisch gemacht, in der Luft nicht der leiseste Hauch von schweißiger Lust. Man hätte glauben können, dass sich außer Jolanda seit dem Morgen niemand hier aufgehalten hatte. Enron hatte sich mit Kluge getroffen, der bisher keinen Erfolg gehabt hatte, Davidov oder einen von den anderen Leuten aus Los Angeles aufzuspüren, und danach war er ruhelos durch das Habitat gestreift, stundenlang, um sich die Zeit zu vertreiben, war in Cafés gesessen, hatte auf gut Glück da und dort seine Nase hineingesteckt und gewartet, bis er gefahrlos zurückkehren konnte.
»Und?«, fragte er Jolanda. Sie hatte sich inzwischen umgezogen, trug nun einen leuchtendbunten Kaftan mit irisierenden grünen, rosa und gelben Kringeln an den Flanken, die kühn die Üppigkeit ihres Körpers noch betonten. Ihr Gesicht wirkte deutlich erschöpft: sie sackte wohl gerade von ihrem letzten Hyperdex-High, dachte Enron. »Und? Wie war es, mit einem Typ zu ficken, der keine Augen hat?«
»Marty!«
»Ich bitte dich! Wir sind doch keine Kinder, wir zwei. Du hast ihn hierher gebracht, das Zimmer hat ein Bett und eine verschließbare Tür; ich habe Verständnis für das, was passiert sein muss. Das war doch überhaupt die Absicht, oder? Dass du ihn herzitierst unter dem Vorwand, ihn für eine Skulptur abzumessen – und mit ihm ins Bett zu steigen?«
»Es war kein Vorwand!« Jolandas Stimme klang leicht hitzig. Sie saß mit dem Rücken zum Fenster und zu dem bestürzend schönen Bild, dem schwarzen Samtvorhang und den flammenden prachtvollen Sternen und Planeten und rasch vorbeigleitenden L-5-Welten. »Ich habe ihn tatsächlich vermessen. Ich habe die ganz ehrliche Absicht, ihn zu porträtieren. Schau – da sieh hin.« Jolanda deutete auf einen kleinen Stapel Datenwürfel. »Ich habe sämtliche Maße da drin.«
»Hat er dir gesagt, wie du für ihn aussiehst? Weißt du, für ihn ist alles bloße Geometrie. Eine sehr sonderbare Geometrie.«
»Er hat gesagt, ich bin schön.«
»Ja. Das bist du. Mir hat er einmal gesagt, wie eine bestimmte Frau für ihn aussah, und ich habe es nie vergessen. Das war damals, als wir einander begegneten, auf dieser Konferenz in Caracas, bei der es um die Gewinnung von Molybdän und Beryllium aus Seewasser ging. Diese Frau kam aus Peru oder Chile, oder so einem von diesen Ländern, und sie sah übrigens dir ein wenig ähnlich, massig wie eine Kuh obenrum, überhaupt eine mächtige Frau rundum, nicht richtig fett, aber gutgepolstert und extrem …«
»Marty! Das interessiert mich nicht!«
»Wir saßen am Pool, Farkas und ich, und sie tauchte aus dem Wasser wie Aphrodite, weißt du? Eine sehr mächtige, großzügige Aphrodite wie von Rubens. Mit mächtigen Brüsten und Armen so dick wie Schenkel, und ihre Schenkel waren sogar noch dicker, aber alles höchst wohlgeformt und alles in vollkommenen Proportionen, nur eben – gewaltig! Genau wie du, fast. Und ich machte eine Bemerkung über ihren Körper zu Farkas und hatte im Moment ganz vergessen, dass er ja keine Augen hat, aber der lachte nur und sagte: ›Für mich sieht sie etwas anders aus.‹ Er sagte, glaube ich, sie wirke auf ihn wie drei seitlich liegende Fässer, verbunden durch eine Flammenkordel. Oder vielleicht waren es auch fünf Tonnen. Aber für ihn war das etwas sehr Schönes, sagte er. Für ihn sieht jeder Mensch ganz verschieden aus, weißt du, und besitzt eine ganz persönliche Gestalt. Die Informationen, die er über seine Sinneswahrnehmungen empfängt, sind ganz anders als bei uns.« Enron lächelte. »Ich freue mich, dass er dich für schön gehalten hat. Das bist du, weißt du. Fast auf die gleiche Art wie damals diese Frau in Caracas. Und im Bett bist du wundervoll. Wie er sicher feststellen durfte.«
»Hast du eine Ahnung, wie du im Moment auf mich
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