Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)
vorher noch nicht erlebt hatte, diese weichere anschmiegsame Frau, die sein Freund Nick Rhodes so verzweifelt liebte. Die zwei betrugen sich im Restaurant wie ein glückliches verliebtes Ehepaar, wie echte Partner diesmal, keine Spur von Aggressivität. Auch Jolanda informierte Carpenter, wie leid ihr das mit seinen Schwierigkeiten tue, und tröstete ihn mit einer hitzeglühenden Umarmung, drückte ihre Brüste fest gegen ihn, ihre Zunge züngelte und glitt ihm zwischen die Lippen, was bei jeder anderen Person als unmittelbare Aufforderung ins Bett hätte betrachtet werden müssen, was aber bei Jolanda, das begriff er rasch, nur ihre freundliche Standardbegrüßung bedeutete. Enron schien es nicht zu stören. Er sah fast nie zu ihr her und zeigte nicht das geringste Interesse an ihr. Er war überhaupt merkwürdig zurückhaltend, da war nichts mehr von dieser fieberhaften Intensität wie bei jenem anderen Dinner, vor Ewigkeiten, in Sausalito. Er sagte kaum ein Wort, war physisch anwesend, aber im Geist schien er ganz woanders zu sein.
Das Dinner – früh am Abend und in einem Carpenter nicht bekannten Restaurant in Oakland – bestand unter anderem aus Unmengen Wein und Unmengen von oberflächlichem Geschwätz und wenig sonst. Jolanda hatte offenbar die Maximaldosis Hyperdex genommen und plapperte plätschernd unablässig von den Wundern des L-5-Habitats, aus dem sie und Enron gerade zurück waren. »Und weshalb seid ihr da hingegangen?«, fragte er Jolanda, und Enron antwortete statt ihrer, etwas zu hastig und zu betont: »Ein Kurzurlaub. Weiter nichts als ein paar Tage Urlaub.« Seltsam.
Auch Nick Rhodes wirkte irgendwie beklommen. Er war schweigsam, irgendwie in Gedanken verloren und trank, sogar für seine Verhältnisse, gewaltig viel. Aber andererseits, dachte Carpenter, irgend etwas bedrückte ihn doch eigentlich immer.
»Morgen«, sagte Jolanda, »sind wir alle bei mir zu Hause zum Dinner, du, Nick, du, Paul, Isabelle, Marty und ich. Wir müssen alles wegputzen, was ich noch im Freezer habe.« Sie wollte schon wieder verreisen, sie mit Enron zusammen, nach Los Angeles diesmal. Merkwürdig, dass die zwei so viel gemeinsam verreisten, wo sie sich doch anscheinend kaum um einander kümmerten. Jolanda sagte zu Carpenter: »Ach ja, morgen Abend kommt noch ein anderer Gast dazu, ein Mann, den wir in Valparaiso Nuevo kennenlernten. Er heißt Victor Farkas. Es ist vielleicht nützlich, mal mit dem zu reden, Paul. Der arbeitet für Kyocera, ziemlich hochgradige Position, und ich hab ihm schon ein bisschen von deinen kürzlichen Problemen erzählt. Vielleicht kann er irgendwas für dich bei Kyocera finden. Jedenfalls wirst du feststellen, dass er ein interessanter Mann ist. Sehr ungewöhnlich, sehr faszinierend, bestimmt, auf eine unheimliche Weise.«
»Ohne Augen«, sagte Enron. »Ein pränatales Genexperiment, eine von diesen Scheußlichkeiten in Zentralasien während des Zweiten Aufbruchs. Aber er ist enorm wach. Sieht alles, sogar was hinter seinem Rücken vorgeht, irgendwie beinahe auf telepathische Weise.«
Carpenter nickte. Die sollten sich zu ihrem Dinner einladen, wen sie wollten, einen Mann mit drei Köpfen oder gar keinem, ihm konnte das gleich sein. Er schwebte jetzt über dem Boden, es interessierte ihn nicht, was um ihn herum vorging. Noch nie im Leben hatte er sich dermaßen müde gefühlt.
Jolanda und Enron verschwanden gleich nach dem Essen. Isabelle fuhr mit Carpenter und Rhodes zurück, blieb aber nicht. Carpenter war darüber erstaunt, nach der Demonstration von warmer Vertrautheit zwischen den beiden im Restaurant. »Sie möchte uns beiden die Chance geben, uns allein zu unterhalten«, erklärte Rhodes. »Sie kann sich vorstellen, dass wir einander viel zu erzählen haben.«
»Haben wir?«, fragte Carpenter.
Das war, bevor der Bourbon aufgetischt wurde, oder war es Korn.
»Wer ist dieses Weib in Chicago?«, fragte Rhodes.
»Ach, nur eine Freundin, vom Samurai-Büro in St. Louis. Wir kennen uns seit vielen Jahren. Eine sehr liebe Frau und freundlich, aber ein bisschen verkorkst und frustriert.«
»Auf alle verkorksten, frustrierten Frauen«, sagte Rhodes. »Und alle frustrierten Männer!« Sie stießen die Gläser klirrend aneinander. »Warum bist du nicht länger bei der geblieben?«
»Dazu wäre sie wohl nicht bereit gewesen. Wir waren vorher nie zusammen im Bett, weißt du. Waren nur so gute Freunde. Ich glaube, Sex ist für sie irgendwie was furchtbar Kompliziertes. Es war lieb von
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