Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)

Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)

Titel: Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
für sie. Früher oder später würden sich auch die letzten Humanoiden zu einer Art Pflanzengattung entwickeln, die sich mit den neuen Sporen vollstopfen und eine Generation von unvorstellbaren neuen Wesen zeugen würden.
    Und was wird mit uns?, fragte er sich. Aus denen, die nicht verwandelt wurden? Die noch immer in der alten Tiergestalt herumlaufen, mit den starren Knochen, der alten Menschenhaut? Ist für uns kein Platz mehr? Werden wir zwangsläufig in der allgemeinen Katastrophe untergehen?
    Er schaute zu dem bambusgefesselten Mond auf, den unergründlichen, funkelnden Sternen.
    Dort, dachte er. Ein Neubeginn, eine Neugeburt zwischen den Sternen, da liegt unsere einzige Hoffnung. Ja. Dorthin. Wir werden von der Erde fortgehen, hinauf zu den Sternen, dann sind wir gerettet. Ja. Und die verkrüppelte Erde hat Zeit, sich ohne uns wieder zu erneuern.
    »Schau!« Rhodes wies auf die Bucht hinab.
    Dort hob sich etwas Riesenhaftes in die Höhe, eine starre feste grüne Säulenmasse, gekrönt von einem Ring von Augen, ein unvorstellbar fremdartiges Wesen. Wasser traufte von seinen Schultern und fiel in zischenden Wolken zurück in die Bucht. Die Augen waren riesenhaft, von überwältigendem Grimm erfüllt. Rhodes war auf die Knie gesunken und bedeutete Carpenter, er solle sich gleichfalls niederknien.
    »Was ist denn das?«, fragte Carpenter. »Das Ding da – was ist es?«
    »Nieder und erweise deine Ehrerbietung!«, flüsterte Rhodes heftig. »Knie dich hin und bete an!«
    »Nein!«, sagte Carpenter. »Ich begreife nicht.«
    Doch alle Welt verneigte sich vor dem Ding aus dem Wasser. Eine gewaltige Musik erscholl aus der Tiefe und erfüllte die Himmel. Ein neuer Gott war erschienen, der höchste Herrscher über diese veränderte Welt. Gegen seinen Willen fühlte Carpenter sich betroffen von der grandiosen fremdartigen Erscheinung. Seine Knie wurden weich. Er kniete nieder auf den feuchten schwammigen Boden.
    »Bete an!«, flüsterte Rhodes erneut. Und Carpenter schloss die Augen und beugte den Kopf, und er benetzte die feuchte Erde mit seinen Tränen. Verwirrt und ohne zu begreifen, huldigte er dem neuen Herrn der Welt, und dann verschwand die Vision, und er erwachte, ernüchtert und bestürzt, als das erste graue Frühlicht ins Zimmer sickerte. Sein Schädel pochte. Überall lagen leere Flaschen herum. Nick Rhodes lag flach neben der Couch auf dem Boden. Carpenter drückte und rieb sich die schmerzenden Schläfen in der vagen Hoffnung, den Schmerz wegmassieren zu können, und er horchte auf das dumpfe Dröhnen in seinem Kopf und sagte zu sich in tiefster überzeugter Trostlosigkeit, dass es für die kaputtgemachte, traurige alte Erde keine Hoffnung mehr gebe. Nicht die geringste. Alles war aus und vorbei. Alles. Alles. Vorbei. Zu Ende.
    Vorbei. Verloren.
    Verloren.
     
    Nach einem Enzymbad und nachdem er den Tag über in der Wohnung herumgehangen hatte, nach ein, zwei Stunden in Nick Rhodes' Wirbelkabine, damit sein Nervensystem die ganzen Verkrampfungen wieder ausdampfen konnte, jedenfalls für eine Weile, fühlte er sich beinahe wieder funktionstauglich. Rhodes zeigte keinerlei sichtbare Nachwirkungen von der durchsoffenen Nacht. So gegen fünf am Nachmittag erschien Isabelle Martine, und war prompt wieder äußerst liebenswürdig und von besorgter Unaufdringlichkeit, und nach etlichen Gläschen Sherry und etwas nettem Geplauder zogen sie zu dritt hinüber zu Jolandas Haus nördlich vom Campus.
    Die verquält übertriebene Pracht des winzigen Häuschens amüsierte Carpenter und gefiel ihm gleichzeitig auch sehr – dieses äußerliche ›barocke‹ Erscheinungsbild, die Vielzahl von Zimmerchen im Haus, allesamt vollgepackt mit kuriosen Pseudokunstgegenständen, wabernde Weihrauchschwaden in der Luft, die Scharen von Katzen, jede davon irgendwie fremdartig und von ihm unbekannter eleganter Hochzuchtrasse. Es war genau die Art von moderat lächerlicher, aber exzentrischer Vitalität, wie er sie in Jolandas Haus erwartet hätte, nur eben noch drastischer.
    Und Farkas, der augenlose Kyoceraner, den Jolanda unterwegs irgendwo in den L-5er-Welten aufgelesen hatte, schien genau zu dem übrigen Kram zu passen, war ein Sammlerstück, eine einmalige Rarität.
    Allerdings konnte man nicht umhin, von dem Mann beeindruckt zu sein, fand Carpenter. Die enorme Körpergröße, die kräftige herrschaftliche Gestalt, die Ausstrahlung von Selbstsicherheit und Stärke, er beherrschte praktisch das kleine Zimmer, in dem Jolanda ihnen

Weitere Kostenlose Bücher