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Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)

Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)

Titel: Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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über West-Nebraska wie einen stürzenden roten Feuerball untergehen sah; er hatte eine unbestimmte, wenig zuverlässige Erinnerung daran, dass er am folgenden Tag durch eine weite unbegreifliche Ebene voll Aschehaufen und schimmernder Vulkanschlacke kam. Und damit hatte es sich auch schon, an mehr von der Fahrt erinnerte er sich nicht.
    Aber an Chicago erinnerte er sich doch sehr deutlich.
    Jeanne, die atemlos vor Überraschung in seinen Armen lag in dieser langen Nacht gieriger Umarmung. Jeanne, die in der selben Nacht, später, urplötzlich krampfhaft zu schluchzen begann und sich weigerte zu sagen, weshalb. Jeanne, die ihm gestand, sie sei zum Katholizismus konvertiert, und die sich erbot, für ihn zu beten. Jeanne, die ihn schließlich im Morgengrauen von sich stieß und sagte, sie sei aus der Übung im Bett und hätte jetzt schon mehr gehabt, als sie vorläufig verkraften könne.
    Und wie sie dann, Hand in Hand und vollgepumpt mit Screen und mit Gesichtsmasken, in einer mittäglichen Gluthitze, die in Satan persönlich Heimwehgefühle hervorgerufen hätte, Chicagos Loop entlang gezogen waren, unter einem verschmierten grünlichen Himmel, der aussah wie eine umgekehrte Schüssel voll Erbrochenem. Der Gestank nach faulen Eiern von den Schwefelwasserstoffen in der Luft kam sogar durch die Schutzmaske. Der Blick die hohen uralten Steinfassaden hinauf, die von ätzender Luft und Giftregen zu einer Phantasmagorie willkürlicher gotischer Brüstungen, Türme, Spitzen und asymmetrischer Dachkronen zernagt worden waren.
    Jeanne, die am gleichen Tag später ihren Körper vor ihm unter einem unförmigen zeltartigen Kleidungsstück verbarg und erklärte, sie sei zu hässlich, sich bei Licht sehen zu lassen, und die wütend wurde, als er sagte, sie sei verrückt, und ihr Körper sei wirklich wunderschön.
    Und dann, als sie sagte: »Es war wirklich wundervoll, Paul, dass du hier warst. Ich mein's ganz im Ernst. Dass du es fertig gebracht hast, es Wirklichkeit werden zu lassen, nachdem es so lange nur gespielt war. Aber jetzt – wenn du glaubst, du kannst dich zusammenraffen und die Kraft finden, jetzt weiterzumachen …«
    Und er hatte sich daran gemacht, Jeannes magere Alkoholvorräte zu vernichten und das Zeug stetig und hingebungsvoll in sich hineingeschüttet, in einer Weise, die eines Nick Rhodes würdig gewesen wäre. Hatte versucht, Jolanda in Berkeley anzurufen, dabei gehofft, dass es Jeanne nicht zu sehr verstören würde, wenn er sich so rasch einer anderen Frau zuwandte; hatte aber nur das Anrufband bekommen, nicht einmal eine Anzeige, dass ein Suchruf weitergeleitet würde. Dann der Anruf bei Nick. Bei dem er sich selbst eingeladen hatte. Dann die Ankündigung zu Jeanne, dass er noch in dieser Minute nach Kalifornien abreisen wollte, und ihr Gesicht, plötzlich ganz verloren und bekümmert. Und wie er sich gefragt hatte, ob es wirklich richtig war, es wörtlich zu nehmen, dass er verschwinden solle. »Aber es ist mitten in der Nacht, Paul«, hatte sie gesagt. Und er: »Macht nichts. Es ist so 'ne weite Fahrt. Ich mach mich besser gleich auf den Weg.« Der feuchte Schimmer in ihren Augen. Tränen der Bekümmerung? Erleichterung? Von Jeanne kamen stets diese gemischten Signale.
    »Du bleibst doch in Verbindung, Paul? Komm wieder und besuch mich, wann immer du willst.«
    »Ja. Ja.«
    »Es war wunderschön, dich bei mir zu haben.«
    »Ja. Ja. Ja.«
    »Ich liebe dich, Paul.«
    »Ich liebe dich, Jeannie. Wirklich.«
    In den Wagen. Auf die Straße. Die Augen verschwollen vor Übermüdung, die Zunge pelzig vom Alkohol, das Gesicht ein Stoppelacker. Die Quarantänezone. Die sinkende rote schwangere Sonne. Asche und Bimsstein. Und dann, tausend Jahre später, die glattgerundeten gelbbraunen Berge über der Bay und der Tunnel nach Berkeley; und hoch oben am Hang das Apartment von Nick Rhodes mit diesem grandiosen Blick.
    »Isabelle muss gleich da sein«, sagte Rhodes. »Wir haben eine Verabredung zum Dinner. Jolanda möchte, dass du ebenfalls kommst. Aber natürlich, wenn du sie nicht treffen möchtest … Dieser Enron ist mit ihr zusammen, weißt du. Das sagte ich dir doch, als du angerufen hast, oder?«
    »Hast du. Zum Teufel, warum nicht? Je mehr, desto besser.«
    Ein eigenartiger Abend. Isabelle war bestürzend lieb, freundlich und zartfühlend und äußerte nachdrücklich mehrfach, wie tief sie das bekümmerte, was Carpenter in der letzten Zeit alles hatte durchmachen müssen – Isabelle, die Therapeutin, wie er sie

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