Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)
zuerst?«
»Was welche?«, fragte er.
»Welche Skulptur.«
»Die hintere«, sagte er auf gut Glück. »Ad Astra Per Aspera.«
»Eine gute Wahl, um einzusteigen«, sagte sie. »Ich zähle bis drei. Dann bewegst du dich darauf zu. Eins – zwei …«
Zunächst sah er nur die Skulptur selbst, eine hässliche amorphe ungeschickte Anhäufung von hölzernen Streben, die durch von innen her sichtbare Metallhalterungen in unmöglichen Neigungswinkeln zusammengehalten waren. Doch dann begann in der Tiefe der Skulptur etwas zu glühen, und kurz darauf fühlte Enron, wie sich in ihm unmissverständlich ein psychogenes Energiefeld flackernd aufzubauen begann: Ein Pulsen im Nacken, dann ein zweites in seinem Bauch, ein seltsames Gefühl der Desorientierung überall. Als höben sich langsam seine Füße vom Boden, fast als ob er nach oben und hinaus zu schweben begänne, durch die Tür zurück in den Hauptteil des Hauses, durch das Dach, hinaus und hinauf in die heiße dumpfige Nacht …
Schön, das Ding hieß schließlich ›Durch Leiden zum Licht‹ oder ›Durch Stress zu den Sternen‹ – oder? Also sollte er wahrscheinlich jetzt die Simulation eines Sternenflugs erleben. Hinauf und hinaus in die fernen Galaxien.
Doch Enron fühlte weiter nichts als eben wie zu Beginn die Sensation der Elevation. Er gelangte nirgendwohin, verspürte weiter nichts als eine gewisse leicht unangenehme Veränderung seines Nervensystems. Es war, als sei sein auf die Sterne gerichteter Impuls eingeschränkt, dass er nur bis zu einem gewissen Punkt gelangen konnte, nicht weiter, ehe er auf eine Art psychische Mauer stieß.
»So«, sagte Jolanda. Die Empfindungen verschwanden. »Was hältst du davon?«
Er war sofort da, wie immer. »Grandios, absolut phantastisch. Ich hatte kaum damit gerechnet, wie intensiv das ist. Ich fühlte …«
»Nein! Sag mir nichts davon! Das muss ganz intim und persönlich bleiben – es ist deine ganz persönliche Erfahrung des Werks. Keine zwei Erlebnisse gleichen sich. Und ich möchte mir nicht anmaßen, dich zu bitten, etwas essentiell Nonverbales mit Worten auszudrücken. Das würde es für dich kaputtmachen, meinst du nicht auch?«
»Ja, wirklich.«
»Wollen wir jetzt den Tower of the Heart nehmen?«
»Bitte.«
Sie berührte jede Elektrode, als wollte sie die Rezeptoren geringfügig neu justieren, und trat dann wieder an ihren Schrank.
Der ›Turm des Herzens‹ war breit, flach, in keiner Weise turmartig, soweit Enron es begriff. Das innere Glühen des Werks war dunkler schattiert, stärker violett-blau als rosig-golden. Als er darauf zuging, fühlte er zunächst nur sehr wenig, dann überkam ihn wieder ein bisschen das Schwindelgefühl wie bei der ersten Skulptur, ja eigentlich war es so ziemlich die gleiche Empfindung. Also ist das Ganze Blödsinn, dachte er, ein schwacher Elektrostrom, der einen kitzelt und ein moderates Unbehagen auslöst, und dann tust du so, als hättest du ein tief anrührendes ästhetisches Erlebnis gehabt, das …
Aber plötzlich und ohne Warnung befand er sich am Rande eines Orgasmus.
Es war höchst peinlich. Nicht nur, weil er vorgehabt hatte, ihn sich zu besserem Anlass später am Abend aufzusparen, sondern weil ihn die Vorstellung, gänzlich die Kontrolle zu verlieren, sich die Hose vollzukleckern wie ein Schuljunge, rasend machte. Er kämpfte dagegen an. Die Ausstrahlungen von der zweiten Skulptur waren weit stärker als die der ersten, und es war mühsam für ihn, sich zu wehren. Er wusste, dass sein Gesicht knallrot vor Scham und Zorn sein musste, und seine Erektion war derart stark, dass es schmerzte. Er wagte nicht hinabzublicken, ob da etwas zu sehen sei. Aber er ging dagegen an. Es war wohl länger als dreißig Jahre her, dass er so verzweifelt gegen die lustvolle Befreiung hatte ankämpfen müssen, jedenfalls seit den hitzigen Schnellschüssen seiner Adoleszenz. Sein Kopf steckte voll von Vorstellungen des üppigen überquellenden Leibes der Jolanda Bermudez, ihrer gewaltigen schwingenden Brüste, ihres heißen, glitschigen pulsenden Lustlochs. Sie war dabei, ihn zu fressen, ihn in sich hineinzuschlingen, ihn auf einer rasenden Flutwelle hinwegzureißen. Denk an was anderes!, mahnte er sich streng. Denk ans Tote Meer!, an den scharfen Metallgeschmack des Wassers dort!, an die dicke glatte Schlammschicht auf der Haut, wenn du aus dem Wasser heraussteigst! Denk an die goldene Kuppel der Omar-Moschee in der Mittagssonne! Denk an den ekelerregenden Ball von
Weitere Kostenlose Bücher